Das schwarze Gewissen des Don Giovaphisto

Der Friedhof kommt im Original nur am Schluss vor, wenn Don Giovanni von der Figur des Komturs angesprochen wird, und er ihn zum Essen einlädt – bei dem dann das Desaster beginnt und Giovanni schließlich in die Hölle fährt. Heinicke deutet von Anfang an auf dieses Ende hin. Und bedient sich dabei eines zusätzlichen Tricks. Er führt eine neue Figur ein: Tisíphone, die Furie, die Erinye, die Rachegöttin aus der griechischen Mythologie (großartig in ihrer dunklen wehenden beweglichen Präsenz im statisch weißen Steingeviert mit den erstarrtweißen Figuren:  Katja Erfurth).

 

Pflicht zum Böse-Sein

Bei Heinicke ist sie nicht (oder wenn, dann nur auch) Rachegöttin für den Mord am Komtur. Sie ist der schwarze Engel des teuflisch mephistophelische Züge tragenden Giovanni (auch Kostüme von Peter Sykora). Unser, der braven Zuschauer, weißer, hoheitsvoll schreitender Engel führt uns auf den Weg des Guten. Auch Heinickes schwarzer Engel macht seine Sache gut. Nur dass „gut“ in der Hölle und bei deren Bewohnern in unseren Augen „böse“ ist. Tisíphone ist hier das (aus unserer Sicht: böse) Gewissen des Mephisto-Giovanni. Kaum will er mal menschlich sein und vielleicht nur einen heben, ermahnt es ihn an seine Pflicht zum Böse-Sein – notfalls durch Fernsuggestion. Und Giovanni, wie eine Marionette der Tisíphone, gehorcht ihr auf’s leiseste Zeichen (auch schauspielerisch große Klasse:  Andreas Scheibner) und bereitet ein neues „Verbrechen“, ein neues AndieWäschegehen, vor. Der Friedhof ist nicht Fegefeuer gleich Vorhof zum Himmel, sondern Vorhof zur Hölle.

Und alle dort, nur nicht der Komtur, sind ein bisschen böse, zumindest verführbar. Donna Elvira (Tiina Penttinen), gekleidet schon in höllenrot böse Strumpfhosen, die nicht nur ein Mal bei Leporello schmusig lüsterne Anlehnung sucht, Donna Anna (Maraike Schröder), die ihren Don Ottavio nur vorgeblich umzirzt und Liebe heuchelt, damit er Giovanni als Rache für den Mord am Vater mit dem Degen ermordet. Dieser Ottavio (André Riemer) fuchtelt dann auch ständig mit dem Degen rum, kann damit aber null und gar nicht umgehen, ebenso wie mit der Pistole (gülden!), die er plötzlich unmotiviert zieht und dann wieder unverrichteter Dinge beim Sacktuch verschwinden lässt. Zerlina (Guibee Yang) ist sofort, selbst am Hochzeitstag,  zu seinem Seitensprung mit dem Don (was für ein Mann!) bereit und dazu, ihren dümmlichen Masetto (Andreas Kindschuh) anzulügen, der bereit ist, seine Herzallerliebste wenn nötig oder nicht, zu verprügeln und der auch sonst den Knüppel allzu gern aus dem Sack holen würde. Und Leporello? Er (Martin Gäbler) ist für Geld genauso böse wie sein Herr, nur nicht so gut darin, weil Angsthase.

Kein Ende mit der Höllenfahrt

Heinickes Konzept scheint schlüssig. Tisiphones Verführung des Bösen zum Bösebleiben bis zum bittergutbösen Ende strahlt auf die anderen aus: sie machen’s Giovanni auch gar zu leicht… Das hat alles was. Hätte Heinicke mit der Höllenfahrt aufgehört (wie Mozart in der Wiener Fassung selbst), wäre das ja alles ok. gewesen. Aber Heinicke griff auf die Prager Urfassung zurück. Und da kommt es zum Schluss zum lichten Finale mit der „Moral von der Geschicht“: Die Überlebenden (jetzt plötzlich Gutmenschen wie wir) singen „Also stirbt, wer Böses tut“. Hoppla, und eben noch wollte sich Elvira, kaum ist …. ooooaaah der Herr Gemahl im Schlund der Tiefe verschwunden, zum dritten Mal von Leporello trösten lassen.

In anderen Interpretationen, wo die anderen alles Gutmenschen und nur von Giovanni verführt sind, dem sie mehr oder minder Widerstand leisten, spielen sie sich zu Recht als Hüter bürgerlicher Moral auf. Das funktioniert hier nicht. Es sei denn…

Vorbild für den Komtur? Anna Chlomys Pietà

Im Prager Ständetheater (dort wurde der “Giovanni” uraufgeführt) steht eine bronzene Figur von Anna Chromy (eine Kopie davon lehnt übrigens in einer Nische des Doms in der Mozartstadt Salzburg). Diese Figur ist ein hohler Kapuzenmantel. Man kann sich vorstellen, dass darin eine menschliche Figur kauern könnte. Überdimensional erscheint am Ende der Komtur in einem sehr ähnlichen Ebenbild der Prager Figur. Und er nimmt den Don Giovanni in seinem Schoß auf (gut gelöst von Sykora!). Wenn aber der Komtur der einzig Gute im Stück ist, kann dann sein Schoß der Eingang zur Hölle sein? Oder meint das, dass auch ein Don Giovanni auf Gnade und Barmherzigkeit hoffen kann, auch wenn er nicht bereut hat, weil das Gute mächtiger ist als alles Böse? Gnade und Barmherzigkeit? Anna Chromys Figur im Ständetheater heißt „Pietà“ – kunsthistorisch seit Jahrhunderten das signifikanteste Zeichen für Barmherzigkeit und Bitte um Verzeihung…

Ob Heinicke so weit gehen wollte? Ob er uns sagen wollte: Und wenn Ihr’s nicht erfühlt…? Sind wir Gutbürger nicht alle verführbar, wenn ein gut aussehender Don Giovanni oder eine o-là-là-Giovanna aufkreuzt? Ob er deswegen im roten Verführerhemd zum Schlussapplaus auf die Bühne trat?

Tolles Ensemble

Wie auch immer: Heinicke, Sykora und ihre Inszenierung haben viel, viel Beifall bekommen. Fast stürmisch der Applaus (zu Recht) für Andreas Scheibner. Ein stimmlich wie sprachtechnisch herausragender Giovanni – in Höhen und Tiefen gleichermaßen draufgängerische Macho-Verführung (Reich mir die Hand, mein Leben) und säuselnd verführerische Romantik (Fenster-Arie für die Kammerzofe). Schauspielerisch ist Scheibner eh Sonderklasse. Martin Gäblers Leporello (schön, mal nicht einen ganz anders gebauten Diener zu sehen, dem niemand die Rolle seines Herrn in der Verwechslungsszene abnehmen würde) fiel kaum ab – in der Registerarie hätte er sich vielleicht gegenüber dem Orchester ein bisschen mehr durchsetzen sollen.

Tiina Penttinen, vielleicht noch mehr als gewohnt, stimmlich und körperlich präsent, Maraike Schröter und Guibee Yang hoher Wohlklang pur, gewohnt verlässlich gut André Riemer und Andreas Kindschuh – und natürlich, wenn auch elektronisch verstärkt, Kouta Räsänen.

Überragendes Orchester

Was aber am meisten gepackt hat, war, was die Philharmonie musikalisch aus dem Graben schickte. Felix Bender, neuer erster Kapellmeister,  hatte den Boden hochfahren lassen – die Klangöffnung war eh größer, weil Sykora die Bühne angeschrägt hatte (ganz im Sinn der Regie: nichts ist so rechtwinklig oder schwarz oder weiß, wie Ihr Euch das vorstellt…). Das erlaubte, das Orchester in kleiner Besetzung spielen zulassen (acht erste Geigen) – was natürlich durch die Betonung der tiefen Streicher (immerhin neun) den düsteren Charakter des höllenvorhofigen Friedhofs-Moll hervorhob. Wer je gedacht hat, Mozart sei leicht zu spielen, der frage Thomas Bruder, den Solocellisten, wieviel Stunden er gebaucht hat, bis das Solo zur Zerlina-Arie saß…  Bender dirigierte unaufgeregt, aber keck, nahm die Tempi eher flott, was gegenüber der optischen Friedhofs-Ruhe auf der Bühne für Spannung sorgte. Das Orchester spielte nicht hartes „Original-Zeit“- Rokoko wie etwa die Züricher Scintilla-Truppe. Bender sorgte für unsentimentale, aber stimmige, Atmosphäre schaffende Dynamik und Hörnergetöse und Paukenknall, wo nötig. Die Musik diente den Sängern, trug sie “auf Händen”, und dem Geschehen – auch die Bühnenmusiker (mit einem köstlich kostümierten Orchestervorstand Sammler). Die Bühnenmusik zur „Henkersmahlzeit“ am Ende mit dem berühmten Zitat Mozarts aus dem eigenen „Figaro“ („Du wirst nicht mehr die Herzen erobern…“) ließ Bender aus dem Graben erklingen – variantenreich und köstlich zur Kost auf dem Giovanni-Tisch. Hervorragender Einstand für Felix Bender. Wir freuen uns auf weitere Produktionen mit ihm.

„Wird auf Italienisch gesungen?“, fragte mich ein wohllöblicher Premierenbesucher vor Beginn. “Ich sitze in der vierten Reihe, da krieg ich ja einen steifen Hals vom Schauen auf die Übertitel.“ War nicht nötig. Heinicke hatte sich für eine (teilweise munter freie) deutsche Übersetzung entschieden. Gut verständlich viele Texte (Kompliment immer wieder an die Finnen Räsänen und Penttinen und die Koreanerin Guibee Yang). „Große Oper“ war angesagt. Es ist so gekommen.

 

Die nächsten Vorstellungen: 19., 28. Dezember 2013, 9., 26. Januar 2014

Das Video dazu