Die vier machen ihren Weg

Viele Berühmte haben in Chemnitz gelernt, auch Ulrich Mühe, auch Hasko Weber, der neue Intendant des Nationaltheaters in Weimar. Die vier, die diese Spielzeit dabei sind, werden es auch schaffen. Daran gibt’s nach dem Montagabend im Schauspielhaus  keinen Zweifel.

Kathrin Brune, im Hauptberuf Dramaturgin am Schauspielhaus und für die Studenten die Mutter der Kompanie, stellte bei der Nachtschicht „Auf dem Weg“ – dankend den Kollegen Ausbildern – die Eleven vor: Bianca Kriel und Felician Hohnloser (den Jungvater – letzte Woche!) von der Züricher Hochschule der Künste, Alina Müller und Christian Neuhof von der Kunstuniversität Graz. Beifall – als erster, und ehrlich – vom Generalintendanten Christoph Dittrich (ganz neue Züge: der Chef knappst sich die knappe Zeit ab selbst für die Jüngsten seines künstlerischen Teams!), als Kathrin Blume dem Theaterförderverein für die finanzielle Unterstützung des Studios dankte.

Viele vom Förderverein erlebten denn auch das Zwischenergebnis von vier Wochen Theatermaloche: Szenen, Monologe und Lieder (einsam, allein, a capella). Sahen und hörten Felician Hohnlosers monologen  als Karl Moor (Schiller, Räuber). Den Guten, der böser Räuberhauptmann werden muss, damit er gut bleiben kann, wenn so was überhaupt geht. Wie jung dürfen eigentlich Schillers Protagonisten sein? Müssen sie so erwachsen sein, dass sie Alles und Jedes sentimentalisch durch die grauen Gehirnzellen geschleust haben und alles jugendlich Naturnaive à la Goethe verdrängt haben, wie wir es so oft auf der Bühne erleben? Nö, siehe Hohnloser, müssen sie nicht. Sie können verzweifelt und verzweifelt verliebt sein und sich ausgestoßen fühlen – dann leckt mich doch, dann mach ich Räuberhauptmann, heute vielleicht auch Streetworker. Ab. Vorhang.

Ähnlich Christian Neuhof als Carlos (Schiller, Don Carlos). Darf sich ein Infant (= enfant = Kind!) in die Liegestütz und dann auf den Boden werfen, im Staub kriechen vor dem Alten, der einem die Freundin geklaut hat? Muss er gleich Oranje-Retter werden wollen statt dem Alten eins über die Rübe zu geben? Nö, siehe Neuhof.  Kommt daher, als ob er kein Wässerchen trüben kann, aber in seinem Inneren tobt ein Tsunami. Den kotzt er raus, und sich die halbe Seele mit dazu.

Sie geben alles, unsere Schauspielstudenten – auch wenn sie singen (müssen). Nicht böse sein, die anderen, wenn wir eine hervorheben: Bianca Kriel mit Patent Ochsners „Niemer im Nüt“, jener Ballade vom verlassenen Geliebten, der für seine Ex „niemand im nichts“ ist, der aber die Bilder von ihr, die feuerfest in sein Hirn gebrannt sind, nicht auslöschen kann und will. Kaum einer hat verstanden, was Bianca Kriel da sang, weil der Song hochalemannisch (kern-urschwyzerdütsch) geschrieben ist. Aber wie die Bernerin (die in Südafrika geboren ist!) sich in ihrer Mundart zuhause fühlte und alle Herzschmerznot über die Rampe brachte, das war schon klasse.

Vorher, ganz zu Beginn, hatte sie die Agafja (Gogol, Die Heirat) ganz verspielt gespielt – und lupenreines Hochdeutsch gesprochen – bis zum letzten Wort, beim Hinausrennen, als alle Belastung der Szene von ihr abfiel und das letzte „Mädchen“ zu einem tief in der Gurgel knarzenden heimatlichen „Mädchchchen“ wurde. Sympathisch. Angekommen.

Johanna (Schiller, Jungfrau von Orléans) darf nicht ankommen. Sie darf nur untergehen. Verzweifelt vergeblich den Auftrag der Mutter Gottes zurückgeben wollen. Einsam sein, allein sein, anders sein als die Menschen, denen sie Vorbild sein soll. Darf sie alles nicht. Da kann der (Zarah-)Winnnnnd oder die Himmelserscheinung noch so viele Lieder erzählen (hat Alina Müller später gesungen…). Alina Müller hat die Zerbrechlichkeit der Jungfrau und den Rotz der Popova (Tschechow, Der Bär) gleichermaßen schon drauf. Bewundernswert.

Der Förderverein hat vor zwei Jahren das Chemnitzer Studio am Leben gehalten, als die HMT in Leipzig, besser: eine Tänzerin mit Prof.-Titel, die bald 50 Jahre währende Zusammenarbeit mit dem Chemnitzer Schauspiel aufkündigte. Dann machen wir halt unsern Kram alleene, sagte sich der Vorstand damals… Enrico Lübbe hat für eine vielbeachtete erste Spielzeit mit tollen jungen Leuten gesorgt, Carsten Knödler hat in Zürich und Graz wunderbare Talente aufgestöbert, die uns noch viel Freude machen werden. Wir sind gespannt auf die Studio-Inszenierung von „Hautnah“ mit den vier Goldstücken am nächsten Donnerstag, 10. Oktober, 19.30 Uhr, im Ostflügel.

Und dann drücken wir ganz ganz fest die Daumen, dass die vier Ende Oktober in ihren Hochschulen und bei dem Vorsprechen vor Intendanten auf den (Bühnen-)Brettern bleiben und Karriere machen dürfen – und nicht hinterm Taxilenker oder mit dem Biertablett versauern müssen. Obwohl: Wir sind sicher, seit Montag erst recht: die vier werden ihren Weg machen. Die Namen Bianca Kriel, Alina Müller, Felician Hohnloser und Christian Neuhof wird man kennen. Über Chemnitz, Zürich und Graz hinaus…

Die Biografien der Neuen

Näheres zur Studio-Inszenierung “Hautnah”