Dominik Förtsch und Christoph Radakovits haben Tage an dem einstündigen „Stück“ gearbeitet, viele Stunden, wieviel genau, wissen sie selbst nicht mehr. Mehr als 300 waren es auf jeden Fall. Sie haben das Thema gewählt („Der tausendste Flüchtlingsabend“), den Text geschrieben („Eine Suche“ – heißt es im Untertitel), haben die Klamotten ausgewählt, die Bühne gestaltet, für Licht gesorgt – sogar das Strobo funktionierte, obwohl Dominik Förtsch noch wenige Stunden vorher auf Facebook Schiss äußerte, es könnte nicht hinhauen. Sie haben Filmsequenzen ausgesucht und Musik. Und (warme) Pizza (für das Publikum) und Döner aufgetrieben. Aber dazu kommen wir noch.
Keine Ahnung, ob es auch beim Schauspielexamen sowas wie ein Pflichtprogramm beim Eiskunstlauf gibt. Wie auch immer, die beiden zeigten so ziemlich alles, was ein Schauspieler können muss: sie prügelten sich und sangen, sie trugen gewichtige Monologe vor und stritten im schnelllippigen Dialog, sie pathetisierten und ästhetisierten, sie quasselten postdramatisch einander die Ohren voll und liebevoll das Publikum an. Sie machten sich in Frauenkostümen und Boxershorts („von H&M, was Besseres konnten wir uns nicht leisten“) zum Affen, rannten schlichen, sprangen – alles da, von Hamlet bis zum Boulevard.
Sie nahmen sich und ihren Beruf selbst auf die Schippe (die „Urgewalt des angehenden Stadttheaterschauspielers“ – Förtsch bleibt in Chemnitz – gegen den „Überflieger von der Burg“ [oder so ähnlich] – Radakovits wurde vom Burgtheater engagiert. Egal. „Manchmal frage ich mich, was das ganze Theater soll“, sagt der eine, „wenn von dem, was hier geschieht, nichts in der Birne bleibt, wenn’s am Ende zum Bier geht“, fürchtet der andere. Bisschen Zeigefinger Richtung Publikum darf wohl sein, bisschen den Prüfern Um-den-Bart-gehen auch. „Neuer Versuch“ – wir wissen, dass wir noch nicht die Größten sind. Aber gebt uns die Chance, es zu werden…
Das Thema der Performance (Flüchtlinge, Migranten, Asylbewerber – wie fühlen sie sich, wie wir uns? Lassen sie uns kalt? Tun wir was gegen die, denen die „Fremden“ Feindbilder oder egal sind) trat in den Hintergrund. Auch der (bestellte) Döner-Mann – in Graz noch ein cleveres Kerlchen, der sich sofort in die Performance einmischte – blieb in Chemnitz zurückhaltend im Dunkel an der Eingangstür stehen. Macht nichts. Die beiden haben gezeigt, was sie auf der Uni und im Schauspielstudio Chemnitz (bei Kathrin Brune) gelernt haben. Und das ist verdammt viel und gut. Kein Wunder, dass beide vom Fleck weg engagiert worden sind. Radakovits in Wien. Wir freuen uns, dass Dominik Förtsch jetzt zum Chemnitzer Schauspielensemble zählt…
Und bei aller Bewunderung für die jungen Schauspieler und aller Freude über ihren Erfolg macht sich bei den Mitgliedern des Chemnitzer Theaterfördervereins auch ein klein bisschen Stolz breit. Der Förderverein unterstützt die Schauspielstudenten finanziell. Wichtiger: ohne ihn gäbe es das Schauspielstudio gar nicht mehr. Vor drei Jahren wollten ihm Professorinnen der Leipziger Hochschule für Musik und Theater den Hals umdrehen, weil sie den ihrigen nicht voll genug kriegen konnten und ihre Studenten lieber nach Berlin verschickten, wo sie ziemlich vor sich hin kümmerten („dünkelten“ hätten unsere beiden Protagonisten am Montagabend gesagt). Die Grazer Professoren Evelyn Deutsch-Schreiner und Axel Richter waren da klüger…
Das neue Schauspielstudio „steht“. Demnächst fangen die Proben für die Studioinszenierung an („Lenz.Festung.Ich“, eine Collage von Kathrin Brune, die auch Regie führen wird – Premiere am 8. Oktober). Wer mitspielen wird? Bisschen Spannung muss sein. Sobald sie da sind, stellen wir Ihnen die vier „Neuen“ an dieser Stelle vor… Toi, toi, toi ihnen. Und weiterhin so große Schritte nach vorn den beiden Meistern der Künste aus dieser Spielzeit!