Der liebe Gott und der Apfelkuchen

So was gab’s im Chemnitzer Schauspielhaus noch nie. Oben, auf der Kanzel in der Beleuchterbrücke steht Pfarrer Ivan (Christian Ruth), Vorsänger Gunnar, der halbwegs bekehrte Kleptomane (Philipp von Schön-Angerer) stimmt an, und die Kirchgemeinde, das Publikum, singt, brummt aus auf den Sitzen verteilten Zettel „Weißt du, wieviel Sternlein stehen…“. Skurril. Aber vielleicht kann man so wirklich am besten zeigen, dass das, was sich da oben auf der Bühne abspielt, nicht einfach nur Theater ist, sondern auch zu unserem Leben gehört. Theodizee. Kann ein gütiger Gott zulassen, dass es soviel Leid auf der Welt gibt? Oder haben die Nietzsches und Hawkins‘ Recht, die sagen „Gott ist todt“?

Und wer ist dann für Wunder zuständig? Da schießt der arabische Tankstellenräuber Khalid (herrlich Türkisch-Italienisch-Deutsch pidginierend: Philipp Otto) dem Pastor das Auge aus und knallt damit den Hirntumor weg, der eigentlich in fünf Tagen hätte zum Tod führen müssen. Ob eines solchen naturunwissenschaftlichen Phänomens verzweifelt Mediziner Kolberg (Andreas Manz-Kozár) an sich und der Wissenschaft – vielleicht ging’s ihm ähnlich wie dem deutschen Bearbeiter des Films für die Bühne, K.D.Schmidt, der sein Medizinstudium abgebrochen hat, und lieber zum Theater ging.

Hauptperson des Stücks ist Adam, der Schlägertyp und Ex-Neo-Nazi (Marius Marx – so grob, beherrscht und feinfühlig, wie wir ihn kannten von damals, als er 2008-11 im Chemnitzer Ensemble spielte). Der holt das Kreuz von der Wand, hängt dafür ein Hitlerbild auf. „Dem Himmelsboten mit seiner Barmherzigkeitspisse“, dem Pastor, in dessen Obhut er seine Bewährungsstrafe absitzen soll,  wird er’s schon zeigen. Verarschen will er ihn, indem er als Ziel seiner Resozialisierung einen riesigen Apfelkuchen backen will. Und dann  begegnet ihm ein Mensch, der Pastor Ivan (Christian Ruth mit unnachahmlicher Guter-Hirte-Gestik und -Sprache), der sich alles Böse in der Welt ins Gute zurechtbiegt („Gott ist auf meiner Seite“). Er ist kein Jiob (Hiob haben wir gelernt, und dass sein Besitz noch viiiel größer war, als hier davon die Rede): „Der Herr gibt alles, er kann es auch nehmen, gepriesen sei er“.  Adam bringt ihn zum Zweifeln: „Und wenn Gott Dich hasst?“

Tut er nicht, offensichtlich. Khalid schießt dem Pfarrer das Auge aus und gleichzeitig den Tumor weg – Beharrlichkeit (Gottvertrauen in dem Fall) hat sich gelohnt – Adam erkennt das Wunder des Apfelbaums: da können die Raben kommen (die abgeknallt werden und rums auf den Bühnenboden stürzen), da können Vogelschwärme die Äpfel anfressen und in die Tiefe scheißen, dass man meint, es regnet, da können Würmer ihre Apfelschächte graben – am Ende bleibt, Wunder, ein (verbrecherisch überlebter, weil von Gunnar geklauter) Apfel übrig, aus dem sich ein Küchlein backen lässt. Nichts kann so böse sein, dass es nicht gut werden kann. Hat der liebe „Gott im Himmel …an allen seine Lust, sein Wohlgefallen, Kennt auch Dich und hat Dich lieb“ (aus der 3. Strophe von “Weißt du, wieviel Sternlein stehen” – da war das Licht im Zuschauerraum schon aus, das sollte ja erst das Geschehen auf der Bühne erweisen.

Und am Ende: alles ist gut. Ja? Szene wie am Anfang. Ein neuer Resozialisierungs-Nazi kommt. In der Kammer, die ihm zugewiesen wird, fehlt das Kreuz an der Wand. Wie wir Carsten Knödler kennen, ist das kein Zufall. Auch das überdeutlich geschminkte ausgeschossene Auge nicht. Mit einem sieht man manchmal besser und versteht mehr. Es gibt nie nur eine Lösung, nie nur einen Glauben, nie nur eine Wahrheit. Nur Hoffnung gibt es immer.

Knödler hat die von Teresa Monfared einfach realistisch gestaltete „Simultanbühne“ ein „Paradies auf einem Abstellgleis“ genannt. Er macht auf der Bühne jeden Anflug von grasüberwachsenem, abstellgleisigen Realismus mit: von der Prügelei, der Schießerei, den zu Boden knallenden abgeschossenen Raben bis zu mächtigem Donner und Blitz. Er lässt Anspielungen auf die Chemnitzer Ereignisse zu – einer der Neonazis scheint jenem Porträt auf der Videowand des CFC wie aus der Figur geschnitten. Die schwarzmakabren Witze und die schwangere Rotlichtsadomasochistin krachen wie Blitze in das gottgefällige, manchmal schwafelige Glaubensgeblubber des Pfarrers Ivan. Und am Ende, wenn das Sonnenlicht gelb wird, die Blütenblätter regnen und alles Friede, Freude, Apfelkuchen ist, grüßt ein bisschen Hollywood.

Nach dem „kleinen Lord“ und „La strada“ war das die dritte Filmadaption in relativ kurzer Zeit für die Chemnitzer Bühne. Ein Trend? Wir hätten nichts dagegen. „Adams Äpfel“ schmeckten süß-sauer. Richtig gut.   

Die nächsten Vorstellungen: 18. und 24. Mai, 1. Juni 2019. Dann wieder in der neuen Spielzeit.