Da hatte selbst Beethoven keine Chance

Gemeinhin ist, wie der Name sagt, ein Konzert (lat. concertare: wetteifern) ein Wetteifern von Orchester und Solist. Schostakowitschs kümmerte sich im dritten Satz seines 1. Cellokonzerts einen Dreck darum. Er schrieb eine Kadenz nur für das Solocello – sowas gibt es in keinem anderen Konzert. Ein traumhaftes Stück Musik, wenn es traumhaft gespielt wird. Und wenn der Solist über ein traumhaftes Instrument verfügt.

Daniel Müller-Schott spielt ein 290 Jahre altes Cello. Gebaut hat es der Südtiroler Matteo Gofriller 1727 in Venedig. Vor zehn Jahren hat es der berühmte amerikanische Cellist Harvey Shapiro (1911-2007 – deswegen heißt das Instrument „Ex-Shapiro“) dem deutschen Kollegen zum Kauf angeboten. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, schwärmte Müller-Schott bei einem Interview in Cleveland. Das Instrument verfüge über eine „Smoothness“, eine solche weiche, sanfte Gleichmäßigkeit, dass man damit Musik ganz neu entdecke. (Zwei Millionen Dollar hatte er zwar nicht auf dem Sparbuch, berichte zumindest cleveland.com. Dem widerspricht Anke Kienitz-Kirk, Daniel Müller-Schotts Presseagentin. “Die Summe entspricht nicht der Richtigkeit…”, mailt sie am 24. Januar, “dass es sich um ein wertvolles Instrument handelt, steht ja zwischen den Zeilen und haben Sie wunderbar beschrieben.” Wie auch immer: es fand sich glücklicherweise ein Sponsor…)

„Smoothness“ – das drückt vielleicht am besten aus, wie Müller-Schott die Kadenz spielte. In einer Ruhe und Beherrschtheit, in Sanftheit und Zugriff, ohne Effekte, auch nicht, wenn die Finger ganz oben am Griffbrett Heimat fanden, wo manch anderer, wenn er wie Tenöre ihr hohes C geschafft hat, extra glänzen will – das Publikum hielt den Atem an. Keine Huster. Alle waren gefesselt. Sternstunde. Nicht schimpfen oder meckern. Lassen Sie uns ein bisschen schwärmen. Wir hätten gern noch eine weitere Stunde zugehört. Und freuten uns, mal keinen Bach als Zugabe zu hören, sondern Ravels „Pièce en forme de Habanera“. Ganz aus dem Südwesten Europas. Und so verwandt mit dem viele tausend Kilometer entfernten östlichen Pendant aus Schostakowitschs Feder.

An diesem Abend interessierte uns überhaupt nicht, dass Schostakowitsch sein erstes Cellokonzert befreit komponieren konnte, kein Druck mehr, Stalins Büsten lagen im Dreck. In diesem Konzert ist so viel Fröhlichkeit, da stecken Späße drin, herrliche Melodien, die der Weite des Landes und dessen Volksmusik verwandt sind. Und es ist herrlich instrumentiert. Was haben wir für schmeichelnde „Wettkämpfe“ des Solocellos gehört mit dem einsamen Horn (sonst gibt’s im ganzen Stück kein Blech), was für Diskussionen mit der frechen Oboe oder der übermütigen Klarinette. Und welch – Amen! So ist es! – Herrscher-Donnerworte der Pauken. Großartig die Solisten in der Robert-Schumann-Philharmonie, überragend die „Darstellung“ des Stars, des Solo-Cellos. Müller-Schott, der bei Rostropowitsch, für den das Konzert geschrieben wurde, lernen durfte, wusste, wie man auch auf dem Cello einen Ton „hornrund“, „oboennäselnd“ oder „klarinettenjokend“ formuliert. Oder wie man mit der Elfen-Celesta flirtet. Und wie man der donnernden Pauke Paroli bietet. Das war nicht nur klanglich und musikalisch ein Erlebnis. Müller-Schott verfügt auch über eine stupende Technik. (Hat er übrigens auch als Hobby-Fußballspieler, wie ihm sein Freund Philipp Lahm einmal in einem Interview bestätigte). Pizzikati mit der linken Hand unter gestrichenen Doppelgriffen – man hätte meinen können, Müller-Schott hätte mehr als vier Finger zum Greifen. Traumhaft seine Flageolets…

In der Robert-Schumann-Philharmonie unter dem Amerikaner James Feddeck fand Müller-Schott gastgebende Freunde. Nur das Beste zu Ehren des Gastes – alles perfekt angerichtet, kein Eigenprotz, obwohl dieses Cellokonzert auch dem Orchester viel abverlangt.

Beethovens selten aufgeführte Vierte hat das Orchester, soweit wir uns erinnern, zum letzten Mal 2012 bei dem großen Beethoven-Zyklus gespielt, damals in der TU. Beermann musizierte sie leicht, wie einen späten Mozart oder Haydn. James Feddeck hielt’s da eher mit Robert Schumann, der die Sinfonie als „romantischste“ Beethovens bezeichnet hatte. Auch Feddeck wählte rasche Tempi – im 4. Satz sogar seeehr rasche. Die überschnellen Läufe ließen die Finger fliegen, waren nicht immer in jedem einzelnen Ton zu hören, machten aber einen Mords-Eindruck. Die langsamen Teile nahm Feddeck sehr, sehr breit – Spannungsaufbau… Beermann setzte gern Stimmgruppen gegeneinander, Feddeck hat mehr den Gesamtlang im Ohr. Was war da nicht alles an an- und abschwellender Dynamik zu hören, die ganze Sinfonie gesungen… Eine Freude für die lang applaudierenden Zuhörer.

Immer wieder erstaunlich, wie ein Dirigent seine Körpersprache einbringt. In der Sinfonie war Feddeck keine Sekunde in Ruhe. Beine, Arme, der ganze Körper in Bewegung. Bei jedem Motiv mit dabei. Bei Schostakowitsch diente er selbstlos, Vorbild für die Musiker im Orchester. Und bei Benjamin Schweitzers „Introduktion und Lichtspielszene“ war er mit gradem Kreuz und strenger Miene Zuchtmeister.

Den braucht ein Orchester auch, wenn es das Werk des Komponisten der „Südseetulpen“ aufführt, der Pseudo-Operette, die kürzlich in der Oper Premiere hatte. Schweitzers Musik auf dem Podium – das ist was ganz Anderes, als sie aus dem Graben zu hören. Sie ist vor allem interessant anzu…schauen. Wie da das Donnerblech malträtiert wird, wie die Trommeln traktiert, die Kontrabässe geschlagen werden, die hohen Streicher nicht mit den Pferdehaaren sondern col legno (mit dem Holz) spielen, wie in all dem Quietsch, Pust, Bummbumm ein leichtes Vibrato de Solo-Violine (Hartmut Schill) alienartig wirkt – das Auge wird nicht müde. Die Ohren hören Abstraktes – wie wenn jemand in abstraktes Bild in Töne umformuliert. Sie erkennen kammermusikalische Sequenzen, lauthals hochgefahrene Schlüsse, da mal ein Stück Holzschuhtanz, hier ein paar fette Regentropfen und dort ein fernes Gewitter. Die Bilder dazu kann sich jeder im eigenen Kopf vorstellen. Kopfkino…

Viel Arbeit für das Orchester – aber wirklich ein dankbares Werk? Wer lohnt die Mühe, wer würde sich das auf CD zuhause anhören? Interessant mal im Zusammenhang mit den „Südseetulpen“. Ja. Aber schon vergessen beim ersten Ton von Daniel Müller-Schott.

(Text geändert am 24. 1. 2017)