Chemnitzer Theaterpreis: Ein Auftakt nach Maß

Martin Bauch reiste aus Bukarest an, Katharina Köller, die den 2. Preis für ihre Komödie „iMan“ erhielt, aus Wien, René Weisel (3. Preis für „Tempelhofer Freiheit“) kam aus Berlin. Überraschend dann, dass nicht die bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Zweite aus Wien das Rennen gemacht hatte, sondern der fast an seinem Schreibkönnen verzweifelte Martin Bauch aus der brandenburgischen Provinz. Einstimmig hatte ihn die Jury auf Platz 1 gesetzt – sie hatte sich ausschließlich auf die Beurteilung der Stücke konzentriert und nicht auf die Biografien. Desto gespannter wird die Uraufführung am 25. Mai erwartet. Geht da ein neuer Stern am Dramatiker-Himmel auf?

Als nach der rührenden Dankesrede von Martin Bauch Jeffrey Goldberg buchstäblich eine Siegfanfare in die Tasten haute, war eine interessante Theaterpreis-Premiere gekrönt. Christine Gabsch, Maria Schubert, und René Schmidt hatten interessante Einblicke beim Lesen in die Stücke gegeben, Generalintendant Christoph Dittrich hatte von den Emotionen gesprochen, die gerade in einem so „hautnahen“ („Hautnah“ heißt auch die diesjährige Studio-Inszenierung der Schauspielstudenten)  Raum wie dem Ostflügel die Zuschauer ergreifen können – wenn die Stücke gut sind. Er zeigte sich sehr angetan von den Entscheidungen der Jury und dankte – wie auch Kathrin Brune, Dramaturgin und verantwortlich für den Preis – dem Förderverein für seine Unterstützung.

Der Preis:

 

Der „Chemnitzer Theaterpreis für junge Dramatik“ war 2013 erstmals ausgeschrieben worden für junge Autoren bis 35 Jahren. Sie sollten Stücke einreichen für drei bis fünf Personen, die nicht nur reden und Wörter verteilen, sondern als Menschen in einer nachvollziehbaren Geschichte erlebbar sein würden. 53 Einsendungen aus den deutschsprachigen europäischen Ländern gingen ein. Unerwartet viele.

Die Preisträger:

Martin Bauch, 32, kommt aus Brandenburg. Er hat Poetry Slams veranstaltet und Hörspiele verfasst. Wollte schreiben. Theaterautor werden. Verzweifelte fast an der Angst, selbst provinziell zu sein. Packte den Stier bei den Hörnern und sattelte um: Studierte Jura. Macht gerade sein Referendariat in Bukarest. Aber er konnte es nicht lassen. Reichte sein in wenigen Ferientagen zwischen Weihnachten und Neujahr 2009 niedergeschriebenes Stück ein. Jetzt ist seine größte Sorge, dass sein zweites Staatsexamen am Tag nach der Uraufführung stattfinden würde und er nicht in Chemnitz sein könnte.

Katharina Köller, 30, kommt aus Eisenstadt, Österreich. Sie hat Philosophie an der Universität Wien und Schauspiel an der Schauspielschule Krauss studiert. Beide Studien abgeschlossen.  Seit 2011 arbeitet sie als Schauspielerin und Theater-Autorin in Wien. Über zu wenig Erfolg braucht sie bei Gott nicht klagen:  sie hat 2012 das DramatikerInnenstipendium des österreichischen Kultusministers  erhalten und war für den Retzhofer Dramapreis 2013 sowie für den Jungwild-Förderpreis für junges Theater 2013 nominiert. Ihre Stücke wurden am Schauspielhaus Graz und am Schauspielhaus Wien öffentlich gelesen und „Der perfekte Mann“ wurde 2013 am Orpheum Graz bei Mimamusch -Festival für Kurztheater- uraufgeführt. Der „iMan“, in Chemnitz eingereicht, wird mit Sicherheit irgendwo aufgeführt werden…

René Weisel, 35, kommt aus Wiesbaden, studierte Biochemie in Hannover und später Kunst- und Bildgeschichte in Berlin. Er twittert seit 2008 als @nouveaubeton und schreibt Theaterstücke. Seit 2013. Ein Spätberufener, aber einer, von dem wir noch hören werden.

Die Stücke

„Die Erben des Galilei“.
Das ist eine bittere Geschichte, in der es darum geht, wie Menschen unschuldig schuldig und damit nicht fertig werden. Raffiniert wie ein Krimi aufgezogen – mit Hochspannung bis zum Schluss.

Die Jury (Jury-Mitglied Philipp Otto, der Schauspieler, las die Begründungen) meint:
„Martin Bauchs geschickte  Dramaturgie stellt an den Leser hohe Anforderungen…. (Seine) Figurenführung ist dabei stets überraschend, keine Figur ist durchschaubar, wir bekommen, wie in einem Krimi Indizien. Und gerade wenn wir glauben, Figur oder Situation erfasst zu haben, treten Wendungen ein, die Realität und Erfahrung für Zuschauer und Figuren brüchig werden lassen.  Nichts ist wie es scheint und am Ende ist alles ganz anders…Der äußere Krieg wird zu einem Krieg im Inneren, der nicht nur weit weg von uns, sondern mitten in unserer Gesellschaft tobt.“

„iMan“
Was ist schon normal? Oma Lore liebt den Computer, den iMan, Enkelin Anna ist lesbisch, Sohn Georg hat einer Thai-Transsexuellen die OP bezahlt… Spielerisch bis bitterböse geht die Autorin auf aktuelle Themen der Gesellschaft ein – und macht eine Komödie daraus.

Die Jury meint:
„In sehr anrührender und zugleich witziger Art und Weise führt Katharina Köller verschiedene Themen unserer Zeit geschickt zusammen. Die Frage nach Liebe und Sexualität im Alter sowie die Frage nach freud- und würdevollem Altern stehen ebenso im Raum, wie die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen bzw. des menschlichen Kontaktes durch eine Maschine. Mit diesen Themen befragt Köller zugleich eine vermeintlich aufgeklärte und liberale Gesellschaft nach ihren Tabus. Katharina Köller entwickelt ihre Figuren stringent und lässt ihnen dennoch Raum für überraschende Wendungen und Entwicklungen. Die unaufdringliche Alltagssprache verleiht den Menschen in ihrer Geschichte eine große und authentische Lebendigkeit.“

„Tempelhofer Freiheit“
Um und auf dem Tempelhofer (ehemaligen) Flugfeld leben die Menschen „ihre“ Freiheit. Jeder eine andere. Traumtänzer einer auf Normen gegründeten Gesellschaft, die in die Katastrophe schliddern müssen.

Die Jury meint:
„Bei der „Tempelhofer Freiheit“ handelt es sich mit 81 kleingedruckten Seiten um das mit Abstand längste aller eingesandten Manuskripte… Die ‚Tempelhofer Freiheit‘ …ist von einer sprachlichen Kraft und Verdichtung, die gefangen nimmt…Man könnte ‚Tempelhofer Freiheit‘ den Preis schon für einen einzigen Akt geben, wenn er so stark ist wie sein erster: Eindringlicher, verzweifelter, realistischer, unentrinnbarer als hier ist das Leben – das auf einen Platz im Sessel zurückgeworfene Leben  – einer alten, kranken Frau kaum geschildert worden.“

 

Die Jury

Kathrin Brune, Dramaturgin und Studioleiterin am Chemnitzer Schauspiel, Silke Johanna Fischer (Regisseurin), Kerstin Decker (Autorin, Journalistin), Philipp Otto (Schauspieler), Johannes Schulze, Vorsitzender des Theaterfördervereins.

Die nächsten Termine:

Die mit dem 2. Und 3. Preis ausgezeichneten Stücke werden im Rahmen einer „NACHTSCHICHT.bühne frei“ am 11. Mai, 2o Uhr, als Lesung präsentiert.

„Die Erben des Galilei“ erleben ihre Uraufführung am 25. Mai 2014 im Schauspielhaus in der Regie von Silke Johanna Fischer.

Fortsetzung folgt:

Schauspieldirektor Carsten Knödler hat angekündigt, dass der Chemnitzer Theaterpreis auch künftig verliehen werden soll. Die Premiere des Preisträgerstücks soll 2015 schon im März sein.

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