Celloklänge wie vom anderen Stern

Richtig bekannt gemacht hat das Elgar-Konzert Jacqueline du Pré Anfang der 60er-Jahre, mehr als 40 Jahre nach der Uraufführung. Damals gab es noch kein Farbfernsehen, noch kein ZDF, nur Vinyl und Radio. Am Cello beherrschten die großen alten Männer die Szene, ganz vorn Pablo Casals. Man hörte sie oft schnaufen, durch den Äther und bis in die zehnte Reihe. Sie spielten wunderbar. Aber alle Welt wollte plötzlich den Elgar von du Pré hören, der schönen Gattin von Daniel Barenboim. Das musikalische Traumpaar von einst spielte das Konzert auch gemeinsam – wenige Jahre, ehe Jacqueline du Pré an multipler Sklerose starb. Mag sein, dass der frühe Tod die Menschen noch mehr zu Tränen rührte als das Spiel der du Pré selbst. Herzerweichend spielte sie das Konzert allemal, Romantik pur zum Heulen vor Ergriffenheit. Bis heute ist der du Pré-Elgar Maßstab für viele Solisten. Und viele Hörer. (Auch wenn sie heute Sol Gabetta runterladen. Irgendwie reizt dieses Elgar-Konzert besonders, wenn Solistinnen die Saiten streiche(l)n).

Alban Gerhardt, der Deutsche, spielte das Konzert „britischer“ als die in Oxford geborene Engländerin mit dem französischen Namen. Bei ihm schwitzen die Augen der Zuhörer nicht, bei seinem Spiel weiten sie sich staunend vor Bewunderung für diese Perfektion makelloser Schönheit.

Der Anfang des ersten Satzes ist überschrieben mit „vornehm“. Aber Gerhardt kommt unprätentiös im roten Hemd, so wie er unaffektiert spielt. Das Cello scheint ein Teil des Körpers zu werden. Wenn der Stachel mal mitten im Stück in den Korpus des Cellos reinrutscht, wird er in einer nebensächlichen Bewegung festgedreht, wie wenn man sich, ohne es selbst wahrzunehmen, die in die Stirn fallenden Haare wegstreicht. Vom ersten Ton gibt Gerhardt den Ton an, ob er streicht, zupft, ob er die tiefe C-Saite mächtig brummen lässt oder ganz oben, zwischen Griffbrett und Steg, wo sonst nur der Bogen herrscht, und es bei anderen eher kratzt oder quietscht, Tonfülle in höchster Höhe formt. Er greift nicht zu den leichtesten, sondern zu den am meisten Klang produzierenden Fingersätzen, die Finger wissen untrügerisch sicher, wo sie aufzusetzen haben. Und die Bogenhand lässt Stakkati auf einem Bogen rauf oder runter tanzen, ohne Anlauf, ohne Auslauf, als ob solche Perfektion das Normalste der Welt wäre. Technische Schwierigkeiten scheint es für Alban Gerhardt eh nicht zu geben (nicht umsonst muss man eher die großen Orchester suchen, die ihn noch nicht geholt haben, als die, mit denen er schon weltweit Erfolge feierte). Aber auch musikalisch gibt er die Linien vor – und lächelt Beermann dankbar an, wenn da wieder mal alles auf dem Punkt landet, so wie er sich das vorstellt. Der lächelt zurück. Auch er hat sich das so gedacht…

Vom Orchester verlangt das Konzert höchste Konzentration, allemal, wenn Gerhardt als Solist vorne sitzt. Bei Elgar bewegen sich so viele Linien aufeinander zu und voneinander weg, so viele Kleinst-Themen blitzen mal hier mal dort auf und wollen schließlich miteinander aufgelöst werden. Kleinste Vorhalte könnten zu unangenehmen Verzerrungen führen, wenn da nicht absolutes Einvernehmen herrscht. Ein kurzes Crescendo des Orchesters muss so dosiert sein, dass vor dem Fortissimogetöse nicht der krönende Celloakkord abwimmernd erstickt. Keine Bange bei Beermann und der Robert-Schumann-Philharmonie. Wunderbares Einvernehmen – sogar so gut, dass sich Gerhardt am Mittwoch nach der Pause schlicht in die Schar der Cellisten-Kollegen einreihte und den Holst mit ihnen zusammen spielte. Nicht nur das Publikum jubelte dem Solisten zu, auch die Musiker klatschten dem „Kollegen“ Beifall, jedes Mal wenn er sich verbeugte, nicht nur nach der Zugabe mit einem Stück des „größten Cellisten aller Zeiten“ (Gerhardt über Rostropowitsch).


Nach der Pause die „Planeten“ von Gustav Holst. Spielzeitprojekt. Angeregt von Frank Beermann. Fast 500 Schüler haben sich Monate lang mit dem Werk und den Planeten befasst. Zehn Musiker reisten mit der von Volker Braun (Oboe) arrangierten Holst-Fassung durch die Schulen – und weckten Begeisterung (viele Schüler waren denn auch bei den beiden Konzertabenden dabei). Die Musiker der Philharmonie sind nicht zu Unrecht stolz darauf, dass ihre Jugendarbeit schon viel länger zieht als die etwa der Berliner Philharmoniker, die die musikpädagogische Arbeit jetzt so extensiv zur PR nutzen. Die Chemnitzer Musiker engagieren sich seit Jahren in der Jugendarbeit, mit viel Herzblut. Und in der Freizeit… Hut ab!

Riesen-Orchester, Orgel, Frauenchor – Holst lässt keine Mittel aus, um Atmosphäre zu schaffen. Dabei geht es ihm weniger um Astronomie, als um Astrologie. So hämmern bei Mars, dem Kriegsbringer, nicht nur die Bogenhaare über die Saiten, sondern auch das Holz, ein Horn-Solo, in das die Flöten hineinstechen (hony soit, qui mal y pense) zeichnet Frau Venus. Jupiter, der Freudenbringer strahlt glanzvoll in der Mitte der sieben Sätze (Planeten). Nicht umsonst ist die teils hymnische Musik der beliebteste Teil der Suite. Und der lauteste. Danach die leiseren: Merkur, der geflügelte Götterbote, kommt auf Samtpfoten daher (Dämpfer bei den Streichern), Uranus, der Magier. Und mit dem „Mystiker“ (hoppla, wir dachten immer an einen Meeresgott) Neptun hauchen die Meeresfeen vom Philharmonischen Chor Dresden feinstes Pianissimo in die Gefühlsozeane unserer Welt. Die Erde hat uns wieder.

Die Robert-Schumann-Philharmonie zeigte an diesem Abend mal wieder glänzend, dass sie farbenprächtige Instrumentierungen mag, wo selbst Bassflöte und Bassoboe zum Zug kommen, Euphonium, Glocken, Harfen und Pauken-Batterien. Beermann liebt das große Orchester, man hört es in jedem Augenblick. Nicht umsonst hatte er an den Anfang des Konzerts nicht Elgars ausgelutschte Pomp and Circumstances-Teile gesetzt (hätten auch gepasst), sondern das so überraschende wie bewegte Gewimmel einer Matrosenankunft in einer Hafenstadt (William Waltons Portsmouth Point). Große Leistung der Bläser, vor allem des Blechs, aber auch ekstatische Holzcapricen. Hat Spaß gemacht.

Eindrucksvolles Konzert. Ein überragender Solist, der in einem schwierigen Stück in seinen „Streit“-Partnern (concertare – lat. miteinander streiten, kämpfen), den Musikern der Robert-Schumann-Philharmonie, ebenbürtige Partner fand. Und Musiker, die mit der umtriebigen Theaterpädagogin Heike Vieth in dieser Spielzeit mehr für die musikalische (und musische, auch die Kunstsammlungen haben sich eingebracht) Bildung der Jugendlichen in und um Chemnitz getan haben, als alle Lehrpläne zusammen es schaffen.