Robert-Schumann-Philharmonie mit Bruckner: Mann, sind die gut drauf!

Da schwitzen selbst die Ohren. So gewaltig, so groß ist diese achte Sinfonie von Anton Bruckner. Selten gespielt, weil von dem frommen Katholiken Bruckner teuflisch besetzt: Wer hat schon gerade mal drei Harfen gleichzeitig parat und acht Hörner und vier Wagner-Tuben!

Um’s gleich vorweg zu nehmen: Beermann hatte die vier Bläser der Wagner-Tuben, die auch zu ihrem Waldhorn griffen, unmittelbar in die Nähe des großen Ohne-Wagner-Namensvetter-Instruments gesetzt. Aber die Wagner-Tuben sind eher Hörner – mit dem Trichter nach oben. Sie wirken heller als die Waldhörner, französischer. So wie die Clairons heller, vielleicht auch schmetternder wirken als Trompeten. Klar, Wagner hat sie im „Ring“ eingesetzt. Aber Bruckner hat da nicht einfach nur Klangbilder abgekupfert: Das klassische Instrument der Romantik ist das Waldhorn („Und das Waldhorn war verklungen/Und die Zauberin verschwunden,/Wollte keinen andern haben/Nach dem süßen Florimunde“ heißt’s etwa in Eichendorffs Ballade „Die Zauberin im Walde) – da wird alles assoziiert: der deutsche Wald, die Sehnsucht, die Liebe, die Natur… Und Bruckner war Romantiker, durch und durch. Aber er hat hinein geschaut in die Welt, in der es gar nicht so romantisch zugeht. Zumindest meistens. In denen es Schlachten gibt und Lärm und Signalhörner zum Töten rufen. So romantisch die Achte an einigen Stellen ist, so schön die Oboe oder die Flöte vögelzwitschern dürfen und die Klarinette forellen darf und die Harfen himmlisch plimplimmen dürfen – das alles ist nur die eine Seite, die andere ist die realistische, wo Sehnsucht schon gestorben und von der Macht übertönt wird. Laut. Wo man kein Waldesrauschen mehr hört. Wo (beim Entstehen der Urfassung) der letzte große Krieg grad mal sieben Jahre her und bei der Uraufführung der zweiten der noch viel größere grad mal um die zwanzig Jahre weg ist.

Beermann hat – kluger Zug – auch das andere Blech von der Seite geholt und in die Mitte gerückt. Die Trompeten, die Posaunen. Das hat viel Sinn: Bruckner lässt Orchestergruppen heißlaufen, und dann schaltet er sie plötzlich ab und lässt statt schmetternden Fortissimi-Prachtstellen kammermusikalisch Piano-Fugenhaftes durch die Streicher entgegensetzen. Wenn heute im Fußball nicht alle nach vorn spielen und verteidigen, dann wird man nicht Champions-League-Gewinner (und selbst wenn man’s erfindet, kann man noch verlieren). Wenn hier das Blech als ewiger Verteidiger nur rechts vor dem Tor stünde, liefe nichts. Bei Bruckner müssen sie alle eine Mannschaft bilden, Streicher, Bläser, Holz, Schlagzeug. Nur die Harfen dürfen rechts ihr Plimplim zupfen. Sie gehören ja eigentlich nicht in eine Sinfonie, wie Bruckner mal bemerkte. Aber hier brauchte er sie. Er darf ja auch mal nur Romantiker sein… Und wenn die Pauke nicht richtig platziert ist, dann kann sie im vierten Satz auch nicht das Reiter-Jäger-Motiv der Streicher zu Beginn des Satzes logisch einbringen. Das war alles richtig gut.

Dass acht Hörner, die Trompeten und die große Tuba alles tottönen können, ist klar. Desto bewunderswerter heute die Streicher. Einen Einsatz im dritten Satz in der 56. Lage auf der G-Saite zu wagen (wahrscheinlich war’s nur die siebte) – alle, nicht nur der Konzertmeister – und das war lupenrein, Junge, was hat dieses Orchester für eine Qualität. Aber kein OB-Kandidat da. (Oder doch?) Vielleicht hätte einer gehört, wie gut die Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie ist, und aufgehört, von Stellen-Reduzierungen zu reden.

Beermann hat Bruckner ernst genommen. Er ließ die Bläser hymnen, wie Bruckner, der immer den Himmel offen sah, es wollte, und wie Bruckner es in der e-moll-Messe (in der es nur Bläser gibt, keine Streicher) zum höchsten Gotteslob – soli deo gloria – komponiert hat, dass die Menschen auch hörten, dass der Himmel offen ist. Zu oft werden die Bläser-Klangmassen egoistich nur für den Klang nach vorn gespielt. Da jubelt jedes Publikum. Aber Beermann sorgte stets dafür, dass seine Streicher sich nicht unterbuttern ließen. Im Gegenteil. Was für ein wunderbares Unisono von 30 ersten und zweiten Geigen haben wir gehört!

Das Orchester hat fantastisch mitgemacht. Die haben beschlossen, wir sind eine Mannschaft. Jeder war jederzeit parat. Jede natürlich auch. So präzise Pizzikati der Streicher zum Schluss des ersten Satzes hört man von den Wienern und den Berlinern auch nicht immer! Das will was heißen. Und wenn die Hörner bei diesem (saumäßig darf man bei Bruckner nicht sagen) gigantisch schwierigen Konzert nie die Glücksspirale bedienten: Hut ab, tiefe Verbeugung.

Durch diese Sinfonie muss man sich kämpfen. Wenn’s richtig laut wurde und alle inneren Blasebälge der – hoffentlich nichtrauchenden – Bläser gebläht waren zum geht-nicht-mehr, dann hatte Beermann mit kleinen Dirigierbewegungen die geringste Mühe. Aber wenn’s musikalisch ernster wurde, komplizierter, dann war jeder Einsatz von jedem Solisten (Holzbläser!) gegeben. Da kam er bestimmt auch ins Schwitzen. So wie seine Streicher. Die fast alle ein Taschentuch für den Schweiß brauchten und vor lauter Gefühl im Fortissimo das eine oder andere Bogenhaar opferten.


Sie haben noch mehr geopfert, die Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie. Bares. 1.000 € aus der Philharmoniker-Kasse. 500 € legte der GMD selbst noch drauf. Und schon am Mittwoch hat das Publikum mehr als 2.000 € draufgestockt. Heute, Freitag, 13.15 Uhr, wird das Geld an die Kollegen vom abgesoffenen Weltecho übergeben (dann wissen wir auch, wieviel insgesamt zusammenkam. Nö, wissen wir jetzt schon. Friedemann Sammler, Geiger und Orchestervorstand, hat eben – 00.48 Uhr,  mitgeteilt, dass stolze 6.032 € zusammengekommen sind. Toll!). Bruckner baut Brücken, haben wir geschrieben. Es ist mehr. Wer sich in aller Ruhe vor solch einem Mammut-Werk der Klassik, der Hochkultur!, im Frack und langen Kleid hinstellt ins Foyer und bittet für die Kollegen der freien Szene, weil die für die Kultur in Chemnitz so wichtig sind, der hat allen Respekt verdient. Hut ab vor dieser Robert-Schumann-Philharmonie. Nicht nur für den begeistert angenommenen Bruckner (wieder musste, wie so oft in den letzten Wochen der Beifall abgewürgt werden, weil sonst die begeistern Zuhörer noch ewig geklatscht hätten und das Freibier warm geworden wäre…), sondern auch für die wunderbare Geste, als Frackträger der organisierten Hochkultur den T-Shirts der wunderbaren freien Szene zu helfen. Nicht hochnäsig. Sondern mit Einsatz. Von jedem einzelnen. Wer stellt sich schon gern hin und sammelt (bettelt) für andere! Hochachtung!

Vor ziemlich genau 6 Jahren, am 20. Juni 2007, hat die Robert-Schumann-Philharmonie Bruckners Achte auch gespielt. Abschiedskonzerte für den damaligen GMD Niksa Bareza. Das war gut, damals, sagen die grauen Zellen. Der Bauch sagt: das heute, das war noch besser.

PS: Nicht vergessen – im Orchester saßen auch die Akademisten, die der Förderverein unterstützt. Sie geben am Sonntag, 16 Uhr, in der Jakobi-Kirche ein eigenes Konzert. „Leichter“, kein Bruckner. Aber wunderschön. Hingehen…!