Mehr als dreißig Mal wird das Stück in den nächsten Tagen gegeben, manchmal zweimal am Tag. Und wenn der Andrang weiter so stark ist, wie er sich andeutet, „dann spielen wir das eben einfach im Februar und im März nochmal“, bemerkte ein glücklicher Generalintendant in der Pause.
Das Schauspiel Chemnitz hat in dieser Spielzeit einen extrem guten Lauf. Nicht der Grund, aber eine Begründung vielleicht, warum Bündnis 90/Die Grünen ihm jetzt zu Recht noch mehr Gutes angedeihen lassen wollen. (Neubau neben der Oper?) Obwohl das Publikum verliebt ist in diese (alte) Bühne, mit der man so zaubern und verzaubern kann wie heute Abend.
Da hat einfach alles zusammengepasst. Die märchenhafte Bühne, die herrlichen Kostüme – klasse, was Yvonne Beier da für Masken für Frosch, Karauschen-Karpfen, den Fuchs gezaubert hat.
Zottelig Wasserzwirbels Bart, ätherisch seine Himmelfahrt, staubig sein Ende. Und die Katze hinterm Küchenfenster schnurrt, das Kamin überm heimatlichen Herd raucht friedliche Wärme, und der Zar wird von den eingeschlossenen Chatschaturjan-Säbeln im Zaubermusikkasten gejagt, während der friedliche Soldat keinen Säbel (mehr) führt. Und auch auch kein Gewehr braucht(schön!), dafür die Trommel als Anti-Zarohren-Kanone einsetzt, die jedes liebedienerische blubb, blubb übertönt.
Märchen, das zeigen Regisseur Wolfram und sein Team, müssen leicht sein, federleicht, aber sie dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Da muss alles passen, selbst die kleinste Kleinigkeit. Denn Kinder im Publikum sind die unerbittlichsten Kritiker. Und sie hinterfragen alles. „Welche mag es wohl sein?“, piepste eine Stimme in die Stille, da Wanja verzweifelt die richtige unter den vernebelten Müttern sucht. Und sie findet. Kindesliebe geht nie fehl.
Jewgeni Schwarz hat kein furchtbares Märchen geschrieben, sondern eines, das Kinder schlafen und die Erwachsenen nachdenken lässt, dass Freundschaft, Willen und uneigennützige Hilfe alle Furcht überwinden können. Einsiedeler Bedenkenträgern sei es ins Stammbuch geschrieben.
Marius Marx ist in Chemnitz nicht vergessen (er war hier engagiert). Jetzt hat er sich mit dem Wasserwirbel erneut in die Herzen der Chemnitzer hineingespielt. Dieser hochmusikalische Schauspieler lässt seinen Absatz keinen Sekundenbruchteil zu spät oder zu früh auf die Bühne knallen, wenn seine schweren Schritte digital lautsprecherdröhnen. Er spricht auf Stelzen und mit Hall-Mikro genauso sauber (und gut oder böse, oder fies und überheblich) wie ohne. Er erzeugt Furcht und am Ende gar ein bisschen Mitleid (nicht nur bei den Kindern). Großartig.
Den so liebenswerten wie mutig furchtlosen Soldaten gibt Martin Valdeig schwejk’sch. Glatt, ehrlich, sauber – die richtige tenoral edle Gegenfigur zum vermoost überheblichen Wasserbass.
Michel Diercks ist ein Wanja, wie ihn jede Mutter gern als Sohn hätte. Wie er für sie kämpft, wie er sie am Schluss ins Leben zurückholt und den Schleier des Wirbelnebels wegreißt, das ist groß, was Michel Diercks als Wanja, der Kleine, hier leistet.
Was haben wir über Jan Gerrit Brüggemann, den Frosch, den Fuchs, den Hirten – und dann den tanzenden Tisch gelacht. Tausendmal umziehen, und immer auf dem Punkt in der neuen Rolle perfekt sein – herrlich.
Ulrike Euen durfte als Wanjas Mutter nicht viel sagen – brauchte sie auch nicht. Sie war Mutter, wie man sich lieb Mutter vorstellt. Aber sie hatte ja noch ein paar weitere Rollen zu spielen, eine von zwei (choreografisch übrigens perfekten) Nebelschwaden, und auch einen Krebs (nochmal: die Kostüme waren klasse!)
Auch Stella Goritzki hatte mehr zu tun, als allein die liebenswertklugfreche Prinzessin zu spielen, diesen Menschenmuttergeborenen rebellischen Teenager. Vergessen seien auch nicht Paul-Louis Schopf und Pauline Schoenke. In den nächsten Aufführungen werden wir in diesen Rollen auch Shana Sophie Brandl, Christopher Schulzer und Magda Decker sehen. Sie werden es genauso gut machen. Denn über allem spürbar war die Lust aller Beteiligten, hier nicht ein Kinderstück herunterzuspielen, sondern Freude zu haben und Freude zu vermitteln. Guter Lauf des Schauspiels. Gutes Team.
Dazu braucht es keine Video-Technik. Schön, dass es auch mal ohne geht. Wunderbare Bilder (wie der Soldat vor dem Sternenhimmel die ums Feuer gelagerten Schutzbefohlenen bewacht und viele andere) bleiben in Erinnerung.
Technik sonst bedarf es einer ganzen Menge. Da ein Loch, dort ein Nebel, hier ein Gaze-Vorhang, dort ein paar Wellen. Und Verstärker zum richtigen Zeitpunkt. Die tanzende Säbel-Kiste – die Baumwegpalastverwandlung. Hut ab!
Aber alles wäre nichts ohne Musik. Steffan (last but not least, der dritte der Stef(f)ani im Leitungsteam) Claußner wählt klug aus, was er da eingespielt und arrangiert hat – vom Hummelflug bis zum Kasatschok und zum quetschkommoden Abendlied am Lagerfeuer. Was es im Einzelnen war, unwichtig. Claußner hat Stimmung geschaffen, Atmosphäre. Mach das mal, dass es Jung und Alt ergreift! Das ist Können…
So. Schluss. Die Schauspieler mussten am Ende den Beifall abwinken. Tschüss… Morgen wieder. Und ständig in den nächsten Tagen. „Da will ich nochmal rein“, hingen die Kleinen am Rockzipfel der Großen. Und die hätte nichts dagegen. Spürbar.
Schwärmerei? Von mir aus. Ich empfand es einfach очень хорошо. Als sehr gut.
Die nächsten Vorstellungen: 22. 11., 15 Uhr; 23. , 24., 25., 26. 11., 10 Uhr; 29. 11., 15 Uhr – und dann fast jeden Tag, an manchen sogar zweimal.
Die Geschichte zum Nachlesen