Bleibt wohl weltweit ein Solitär

Wahrscheinlich hat wieder einmal Freund Zufall die Hände im Spiel gehabt. Als der Schatzsucher Frank Beermann (wir erinnern uns etwa an Pfitzners „Rose vom Liebesgarten“ oder Meyerbeers „Vasco de Gama“, die er erfolgreich ausgegraben hat) im Zuge seiner Reznicek-Wiedererweckungen (er hat alle fünf Sinfonien neu eingespielt, darunter drei mit der Robert-Schumann-Philharmonie) auf „Benzin“ stieß, gab er keine Ruhe, bis die Oper auch auf die Bühne kam. Und aufgenommen und übertragen wurde (Deutschlandrundfunk Kultur/MDR Figaro).

Wahrscheinlich tat’s Beermann in der Seele weh, dass zwar alle Welt die Chemnitzer Auf- und Ausführung lobte, den Inhalt der Oper aber für ziemlich bekloppt hielt (Luftschiff landet auf einer Insel mit Männer hypnotisierenden Nymphomaninnen). Da kam 2013 der Musikdramaturg Jón Philipp von Linden aus Bielefeld ans Chemnitzer Haus. Irgendwie waberte da wohl noch Beermannscher „Benzin“-Duft. Kurzum: An diesem Wochenende ging in Bielefeld die zweite Inszenierung von „Benzin“ nach Chemnitz über die Bühne. Dramaturg Jón Philipp von Linden, der 2016 dorthin zurückgekehrt war. Hony soit, qui mal y pense…

Wenige Wochen zuvor nun, guten Tag, Herr Zufall, das Erscheinen der CD-Box. Und – auch wenn sich die Kritikerstimmen nicht von denen dereinst in Chemnitz sehr unterscheiden – es lohnt sich hineinzuhören. Musikalisch ist da alles drin. Von Mahler und Strauss bis zu Foxtrott und Boston. Und die Robert-Schumann-Philharmonie zeigt wieder einmal, dass sie nicht nur Wagner, Bruckner oder Verdi kann, sondern auch solch im übrigen bisweilen teuflisch schwierige Leichtigkeiten. Die Noten übrigens mussten komplett neu geschrieben werden. Finanziert hat das der Theaterförderverein.

Für Chemnitzer Opernfreunde sind diese CD geradezu ein Muss: neben Johanna Stojkovic und Carsten Süß hören, erkennen und lieben wir dafür Räsänen, Yang, Thielemann, Penttinen, Mäthger, Göpfert, Winter, Kindschuh, Riemer, Gäbler und die gut aufgelegte Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann.

Beim ersten Hineinhören ist die Versuchung groß, die eine oder andere Nummer zu überspringen. Und Ältere, die noch Opernquerschnitte kennen, fragen sich vielleicht, ob eine Auswahl nicht die bessere Variante gewesen wäre. Beim zweiten Hineinhören signalisieren Ohr und Hirn einmütig: Nein. Zu interessant die Musik. Auch die eigenartigen Ecken und Kanten. Und außerdem: Schön, dass ein musikalisches Gesamtwerk für das musikalische Gedächtnis der ganzen Welt erhalten bleibt. Und nicht nur ein paar Stücke draus. Bei Reznicek wäre das nichts Neues. Aus seiner bekanntesten Oper „Donna Diana“ wird fast nur noch die Ouvertüre gespielt. Und die meisten kennen daraus nur die paar Takte Titelmelodie für die TV-Quiz-Show „Erkennen Sie die Melodie“ (lang, lang ist’s her: 1969 bis 1985 mit Unterbrechungen).

Verrückt wie seine Oper Rezniceks Leben. Und sein Begräbnis. Der Komponist starb im August 1945 an Hungertyphus. Michael Wittmann, der einen höchst lesenswerten Beitrag für das Begleitheft (darin ist auch das Libretto abgedruckt) geschrieben hat, erzählt darin auch, dass Reznicek zwar der erste Berliner gewesen sei, der nach der Kapitulation nicht im Massengrab verscharrt wurde. Aber sein Sarg wurde in Unterhosen zu Grabe getragen. Zu ihrer eigenen Sicherheit hatte der wachhabende sowjetische Offizier die Sargträger aufgefordert, ihre schwarzen Anzüge abzulegen… „Der Schlemihl war sich bis zuletzt treu geblieben“ (Michael Wittmann)

Die Aufnahme ist – wie die meisten bei cpo – technisch gut. Die Box ist im Theater-Shop für ca. 30 € zu haben.