Alle paar Wochen, am Montagabend um sechs, geschieht Wundersames am Fuß des Kassbergs. Da kommen Dutzende von Kassbergern und anderen Chemnitzern. Ganz normal. Keine besonderen Klamotten. Eintritt muss keiner zahlen. Jeder gibt am Schluss gern, was er sich leisten kann. Die Menschen kommen, weil sie Musik hören wollen. Welche, ist ziemlich egal. Hauptsache gut. Nur nicht Helene Fisher & Co. Dafür Klassik und Impro(visation).
Am Montag war’s besonders überraschend. Die Philharmoniker Ovidiu Simbotin und Jakub Tylman und der Solo-Repetitor der Oper, Jeffrey Goldberg: drei, die sich (in Chemnitz) gefunden haben. Der eine aus Rumänien, der andere aus der tschechischen Republik, der dritte aus den USA. Sie spielten nicht nur Beethoven (sein Streichtrio op.1,3), sondern improvisierten auch, locker drauf los. Und die Impros schlugen Beethoven!
Zum ersten Mal kamen die Musiker um Zugaben nicht herum. Die sind eigentlich nicht vorgesehen. Die Zuhörer sollen rechtzeitig vor der Tagesschau zuhause sein. Musik als Bereicherung, nicht als Spaßbremse und Familienärger, so hatte sich Jakub Tylman damals gedacht, als er das Kassbergfuß-Festival im Kraftwerk ins Leben rief.
Und es gab weitere Überraschungen. Neu macht lebendig.
Das Beethoven-Trio, Klassik pur. Opus 1 des Mannes, der später (Opus 125) mal die Neunte komponieren sollte, hat mit dem 3. Teil des Opus 1, dem c-moll-Trio, ein höchst perfektes Werk geschrieben (obwohl er es später noch in ein Quintett um“formuliert“ hat – für Gute ist nichts gut genug). Ovidiu Simbotin, Geige, hält Spannung auf einem Ton, vibratolos (gleich zu Beginn), Jakub Tylman, Cello, zupft sich später die Haut von den Fingern, um dem Bass Gewicht zu geben, Jeffrey Goldberg lässt den Pedalfuß viel länger stehen als andere, um Klang weiterleben zu lassen, haut auch rein in die Schlussakkorde des ersten Satzes, ganz, wie erwartet und von Beethoven vorgebaut. Kraftvoll das Ganze. Schöne Musik. Mit Beethovens Piano-Schluss-Ausschwingen im letzten Satz (selten sonst!). Alles gut. Hat gefallen. Geht jedem in den Gehörgang. Und trotzdem, Überraschung -die Improvisationen der drei kommen noch besser an.
Die Impros: teils eingehört und vorgeahnt (jedes Mal trotzdem anders), in den Zugaben rhythmisch höchst variantenreich mit Flageolet-Passagen und Klaviersaitenzupfen, Holzkörperschlagen (Cello). Nicht alle Töne passend, aber immer atmosphärisch auf derselben Welle. Unerwartet viel zarter die Improvisationen an vielen Stellen als der Beethoven – das Publikum zog die Höchstwertungskarte. Ergebnis bekannt/ungewohnt: Zugaben.
Überraschend auch die Dramaturgie. Da spinnt Geoffrey Goldberg leise musikalische Fäden vor sich hin, es naht wandernd weiterspinnend Ovidiu Simbotin, er umgarnt den Flügel, ehe Jakub Tylmann das Gewebe zum Tapisserie-Kunstwerk verbindet.
Und dann das Licht. Erstmals gezielt eingesetzt. Blau zur blauen Stunde. Voradvent. Vorlichterzeit. Einfach schön. Schön passend.
Am Sonntagmorgen bei der Akademisten-Matinee im Opernhaus hatte Hartmut Schill angekündigt, dass die jungen Musiker vielleicht auch mal an einem Kassberg-Montag spielen können/dürfen. Eine Ehre mittlerweile für den, der dort antreten darf. Ohne ehrenwerte Klamotten. Aber geliebt vom Publikum.
Und das wächst immer mehr. Konservativ? Nö, das Gegenteil. Je mehr Überraschung, desto gut, scheint es. Ute Kiehn wird demnächst noch mehr Stühle in den Saal schaffen lassen müssen.
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Neu, aber nicht gut, dass der Bericht so spät im Netz steht. Wir bessern uns. Versprochen.