Bin ich, und, wenn ja, wer?

O Gott, warum immer so ernst? Darf Theater nicht mal einfach nur Theater sein? Spielen, Schauspielen – Freude machen? Das Publikum zum nachdenklichen oder auch ganz spontanen Lachen reizen?

Mayenburg gilt als einer der besten deutschen jüngeren Dramatiker. Obwohl, 44 Jahre hat er auch schon auf dem Buckel. In einer verrückten Geschichte, die eigentlich keine ist, sondern eine Revue vom Ausbruch von Zwischenmenschlichkeiten, geht’s im wahrsten Sinn drunter und drüber – ob der Dreck unters Hempel-Sofa gekehrt wird, das Holmenkollen-As sich über den Elch hermacht, die Wikingerin ihre Brüste blinken lässt, die Island-Vulkanin kurz vor der Eruption hampelt, ob sich die beiden Paare paaren oder kreuzen, ob sie philosophieren oder spintisieren, sich auftakeln oder abservieren, das kann ein Riesenspaß sein. Wenn Otto und Anna Mensch im Publikum Spaß haben, das eine oder andere Denkchen mitnehmen, sich aber nicht hinterdenken wollen.

Wie wird so schön im Programmheft der spätmittelalterliche Philosoph Nicolaus Cusanus (eigentlich Nikolaus von Cues – so wie auch ein Georgius Agricola eigentlich Georg Pawer/Bauer hieß) zitiert: „De docta ignorantia“. Ja, lasst uns gelehrt unwissend bleiben. Und lasst uns einfach nur schmunzeln, wenn Nietzsche im Stück „getötet“ wird: „Gott ist nicht tot. Er lügt“…

Die vier Neuen im Schauspielstudio haben es uns schon mit dieser Studio-Inszenierung angetan. Daran hat Regisseurin Kathrin Bruno, die das Studio (zusammen mit dem Dramaturgen-Kollegen René Schmidt) leitet großen Anteil. Sie lässt den jungen Leuten (anders als im Skript) auch auf der Bühne ihre Namen, lässt die Director‘s-Zügel frei – sie können, scheinbar ohne Vorgaben, die Regisseurin für tot erklären – und küssen, und albern und singen, bis der Kopf unterm Arm im Requisiteneimer verschwunden, die Tapete von der Wand gefallen sind, und die Ärgerpflanze allein vor sich hingrünt – bis sich so der muntere Abend in langem, herzlichen Beifall des fröhlich gewordenen Publikums auflöst.

Ein guter Jahrgang, dieses neue Studio, das es ohne den Theaterförderverein nicht mehr gäbe.

Johannes Bauer, 20, ist Niederbayer und studiert in Linz. „Man will eigentlich nur noch leben und nicht so tun als ob“, wird er m Programmheft zitiert. Na klar, mach! Köstlich, wie er mundartet und die Nazi-Parolen rauskotzt. Cathrine Sophie Dumont, 26, Saarbrückerin, studiert in Wien. Sie ist ein Energiebolzen: im Stück „widersprüchlich, funkelnd, glänzend, wechselhaft … modebewusst, wortgewandt“ (Programmheft). Treffende Selbstbeschreibung, Cathrine! Konstantin Rickert, alterverheimelnder Schwabe aus Tübingen, Studium in Graz, ist der Philosoph unter den Vieren. Zumindest im Stück. Der Elch… Es kommt nicht auf die Mächtigkeit des Geweihs an, sagt er, „Johannes erkennt nicht, was unterhalb des Geweihs steckt – deshalb funktionieren wir auch nicht“. Last not least: die 23-jährige Steffi Baur aus Konstanz (studiert ebenfalls in Graz). Ihre Figur habe „einen Hang zu Ordnung, Korrektheit, Nervosität und kleinen Neurosen“ mit Neigung zu „kleinen leicht cholerischen Ausbrüchen…, die aber sehr schnell wieder kontrolliert werden. Und sie weiß, wie man sich rächt.“

So, wie sie es geschrieben haben, haben sie gespielt – sich selbst voll getroffen. Ob da nun Regisseurin oder Dramaturgin mit hineingedocktert haben oder nicht –  klasse gemacht.

Das gilt im übrigen auch für Bühnenbild und (herrliche) Kostüme (Eleonora Pedretti) – wieder In Zusammenarbeit mit dem Masterstudiengang Bühnenbild_szenischer Raum an der TU Berlin entstanden. Da bahnt sich eine echt gute Zusammenarbeit mit dem Chemnitzer Studio an.

Viel, viel Beifall für Akteure und Inszenierungs-Team. Guter Start für die Studenten in ihr Chemnitz-Jahr. An denen werden wir noch viel Freude haben in dieser Spielzeit.

Die nächsten Vorstellungen gibt es heute. sowie am 6.10. und 13.10. jeweils 20 Uhr