Beethoven-Zyklus II: Spiel mir das Lied von Liebe und Sieg

Diese (neuen) Noten hatte der Theaterförderverein dank einer Spende der Schellhorn-Stiftung finanziert. GMD Frank Beermann dankte dem Förderverein zu Beginn des Konzerts nicht umsonst für seine vielfältige Hilfe. Er dankte auch dem Industrieverein, der kostenlosen Eintritt für Studenten ermöglicht hat (nächstes Mal werden’s bestimmt mehr sein…) Und er dankte besonders der Uni (weil das Konzert in der Uni war) und gratulierte ihr vor allem: für die Aufnahme in das Programm der Exzellenz-Initiative. Leichtbaustrukturen – das ist der Forschungs-Leuchtturm der TUC. Und Beethoven ist auch nicht (nur) der grimmige alte Mann, wie man ihn von Bildern kennt. taub, unwirsch, grob. Er kann fein sein, leicht, mit filigranen Strukturen, die ein wunderbar haltsam Neues ergeben. Eben nicht Schwermaschinen-Gedonnere wie bei Furtwängler. Die Robert-Schumann-Philharmonie, selbst exzellent (auch wenn das in der Stadt manche nicht wahrgenommen haben, weil es keine Exzellenz-Initiative für Orchester gibt), musizierte auf höchstem Niveau. Schon das zweite Konzert, bei dem das Publikum minutenlang stand, und „sein” Orchester bejubelte. Nächstes Mal werden’s noch mehr sein.

Auch Beethoven war mal jung – warum denken wir nicht dran? Und verliebt. „Heiter” sei er damals gewesen, schreibt ein Zeitgenosse, „zu jedem Scherz aufgelegt, munter, lebenslustig…” Beethoven war verliebt. In Josephine Brunsvik, eine verwitwete Gräfin Deym. „Von ihr, der einzig Geliebten, warum gibt es keine Sprache, die das ausdrücken kann…”, schrieb er an die heimlich Geliebte während der Komposition der Vierten Sinfonie und des „Fidelio”, der Liebesoper schlechthin. „O wer kann … aussprechen und nicht fühlen, – dass … das alles sie erreicht – nur in Tönen. Ach ich bin nicht zu stolz…, wenn ich glaube, die Töne wären mir williger als die Worte”.

Warum hört man diese 4. Sinfonie so selten? Warum hat Beermann die Siebte auswendig drauf und dirigiert sie mit den Noten nur im Kopf – und bei der Vierten schaut er in die Partitur? Mögen wir Deutschen die Vierte nicht so, weil sie am wenigsten furtwänglerisch pathetisch ist, nichts erzählt von Macht und Kampf, von Siegern und Verlierern? Was ist das für ein wunderbarer zweiter Satz – wo die Melodien ineinander übergehen in den Instrumenten, von der Flöte, über die Geigen hinunter zu den Celli? Wo der Gedanke des einen den weiterführenden gleichklingenden Gedanken der Geliebten anstößt und wieder zurückspiegelt, wo im Moll und dumpfen Paukenschlägen Gefahr geahnt und dann in einer traumhaften Melodie Harmonie gelebt wird? Wunderbar, wie sich die Robert-Schumann-Phil-harmonie da hineingehört und gespielt hat – präzise, locker, empathisch. Das war einer der ganz großen Momente des Sonntagskonzerts.

Die 7. Sinfonie hat Richard Wagner einmal als „Apotheose des Tanzes” bezeichnet. Bei allem Respekt: Das ist einigermaßen Quatsch. Wieder der zweite, der langsame Satz. Fängt an wie ein Trauermarsch, wie es sich gehört, in Moll. Aber in a-moll. Das gilt gemeinhin nicht als das „traurigste” Moll, wie c-moll oder e-moll. Zu Recht hört der Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt nicht einen „Trauermarsch wie in der Eroica, sondern ein(en) endlosen Trauerzug von Millionen”.

Auf der ersten Seite der Partitur steht von Beethovens Hand „Sinfonia 1812, 13ten May”. 1812 (also, Zufall, fast auf den Tag vor 200 Jahren), das war das Jahr, in dem Napoleon vor Moskau scheiterte. Von einer Völkerschlacht 1815 bei Leipzig hat im jubelnden Wien noch keiner geträumt. Der Sieg erstmal (wie bei der Fußball-EM), dann sehen wir weiter… Beethoven aber sah die abgekämpften Soldaten, die hunderte von Kilometern sich vom Kampf durch die Landschaft schleppen, hungernd, frierend, Züge gab’s noch nicht. Aber Hoffnung – dass all die Opfer einen Sinn hätten. „Uns alle erfüllt nichts als das reine Gefühl der Vaterlandsliebe und des freudigen Opfers unserer Kräfte für diejenigen, die uns so viel geopfert haben”, schrieb Beethoven an die Beteiligten der Uraufführung der Sinfonie. Früher, nach der verlorenen Schlacht bei Jena und Auerstädt, hatte er noch geschrieben „Schade, dass ich die Kriegskunst nicht so verstehe wie die Tonkunst, ich würde ihn (Napoleon) doch besiegen.”

Stimmt. Auch dieser zweite Satz ist umwerfend. Wie im Versmaß des ewig dahinmarschierenden Vieltausend-Verse-Epos eines Vergil („Aeneis”) oder Homer („Odyssee”) schleppen sich die Soldaten durch die Landschaft. Hexamter als Grundrhythmus in der Musik: Dam, da, da, dam, da (da) – Trompeten, Hörner – diesmal klasse. Tutti. Alle sind dabei. oder spüren es mit. Dann wieder die Träume vom Sieg, die der vierte Satz explodieren lässt. Da schleppt sich niemand mehr hin, da simulieren die punktierten Noten den jubelnden Ritt in den Sieg – über Napoleon. Aber auch über die Kleinstaaterei in Deutschland. 1848 ist noch weit, 1871 noch weiter. Diese Sinfonie eröffnet Dimensionen…

Die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie (bei der 7. mittlerweile mit Hartmut Schill am Konzertmeisterpult) waren absolut spitze drauf. Trotz des hohen Tempos, das Beermann, dem Meister getreu vorgab, saßen die Punktierungen, die Hörner strahlten (außer im vorletzten Ton) triumphierend über allem hinweg, die (sonst so wenig beachteten) zweiten Geigen brachten auch den vertracktesten, kurz eingeworfenen Sechzehntel-Rhythmusgrund, der Pauker (große Aufgabe bei der Strukturierung des „Geschehens”) war drohend und weckend da, wie er sollte, die Generalpausen ließen die Stimmung nicht plumpsen (wie oft bei romantisierenden Aufführungen) sondern erhöhten die Spannung – es war ein beeindruckender Sonntagvormittag.

Gut, dass die Theater Chemnitz die „Begegnungen mit Beethoven” machen. Gut, dass Beermann Beethoven beim Wort nimmt. Gut, dass das Orchester die Sforzati auch im schnellen Tempo drauf hat, auch wenn die Betonungen nicht auf der Eins oder Drei der Takte stehen. Das machte das Konzert, trotz größerer Dimensionen, „leicht”.

Exzellent. Orchester wie Uni.

Die Uraufführung der 7. Sinfonie fand am 8.12. 1813 in Wien statt. Im Festsaal der Universität. Klasse, dass wir die 7. jetzt auch in Chemnitz in der Universität hören konnten.