Bahnt sich da ein neuer Welterfolg an?

Otto Nicolai hatte die Oper für die Mailänder Scala komponiert, wo sie auf Italienisch unter dem Titel „Il proscritto“ 1841 uraufgeführt worden war. Nachdem Nicolai wegen seines „Templario“-Erfolgs in Wien Chef geworden war und die Philharmoniker gegründet hatte, wollte er auch dort mit einer weiteren Oper seinen Erfolg ausbauen. Er schrieb 1843/44 den „Proscritto“ um – und so wurde daraus eine deutschsprachige Oper unter dem Titel „Die Heimkehr des Verbannten“, durchaus erfolgreich. Sie ging 1844-1847 an die 40 Mal unter Nicolais Leitung über die Bühne.

Die Wiener und ihre Dirigenten… Nicht nur ein Karajan schied dort mal im Ärger. Das ging schon Nicolai nicht anders. Ab 1848 dirigierte er als 1. Hof- und Domkapellmeister in Berlin. Sein Entree sollte „Die Heimkehr des Verbannten“ sein. Doch da kam die Revolution dazwischen… Kurzum: die Oper wurde erst 1849 in Berlin aufgeführt. Da war Nicolai schon tot.

Für Berlin hatte der Komponist sein Werk noch einmal fast total umgeschrieben. Ganze 20 Prozent der ursprünglichen Mailänder Fassung waren da noch drin, wie der Musikwissenschaftler und Herausgeber Michael Wittmann festgestellt hat. Eines der Hauptprobleme für Nicolai in Berlin war die Sängerin der Hauptfigur der „Leonore“. Ihre Stimme war für die schwierige Auftrittsarie nicht geeignet. Also strich Nicolai diese Arie…

Ja, wo findet sich eine Sopranistin, gleichermaßen dramatisch und mit Koloraturen in höchster Höhe stimmgesegnet? In Chemnitz 2011 war das nicht anders. Die ursprünglich vorgesehene Sängerin stieg aus – sie schaffe die Partie nicht. Julia Bauer sprang ein – was für ein Glück. Sie wurde eine wundervolle „Leonore“. Das Publikum in der Chemnitzer Oper und die Hörer von Deutschlandradio Kultur, das die Premiere am 29. Januar 2011 live übertrug, lagen ihr zu Füßen… Und die Feuilletons waren von der Aufführung begeistert.

Offenbar war das der Herausgeber Michael Wittmann nicht so ganz. Für ihn ist die Berliner Fassung von 1849 die „letztgültige“ des „bislang noch verkannten Hauptwerks“ Nicolais. Und deshalb sei in Chemnitz ursprünglich auch die Berliner Fassung geplant gewesen, schreibt er. Doch der Dirigent habe auf die Auftrittsarie der Leonore nicht verzichten wollen… Dreimal dürfen sie raten, weswegen. Frank Beermann wollte seiner Julia Bauer dieses Glanzstück von Arie nicht wegnehmen…Die beiden verband schon damals mehr als nur Musik.

Die Wiener Fassung ist für Herausgeber Michael Wittmann heute ein „no go“, und er entschloss sich, Aufführungen der Wiener Fassung „bis auf weiteres nicht mehr zuzulassen“, weil sie „gleichsam (ein) Dokument des halben Weges (seien), den Nicolai als Komponist zwischen dem „Templario“ und den „Lustigen Weibern“ zurückgelegt hat“. (CD-Begleitheft).

„Bis auf weiteres“… Vielleicht ist sich der Herr Herausgeber doch nicht so ganz sicher, auch wenn er verkündet: „Die vorliegende Aufnahme wird darum auch Unikat bleiben“. Es kann auch ganz anders kommen… Chemnitz ist immer für Überraschungen gut.

Schön, dass das Label cpo die 2 CD-Box – wenn auch mit fünfjähriger Verspätung – veröffentlicht hat, über die „der geneigte Hörer selbst entscheiden“ mag (Wittmann).

Wir haben unsere Ohren geneigt und in die CDs hineingehört. Wir hören ein herrliches Werk – mit einem Superchor, einer glänzenden Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann, guten Solisten (Hans-Christoph Begemann, Bernhard Bechtold, Kouta Räsänen, Uwe Stickert, Tiina Penttinen, André Riemer – und die Philharmoniker Peter Wenzel, Regine Müller, Thomas Bruder), technisch exzellent aufgenommen, vor allem aber eine wunderschöne romantische Oper, und ehrlich, ob da der Musikwissenschaftler noch was Endgültigeres wissenschaftlich nachweist – geschenkt. Wir hören auch mit dem Herzen. Und kommen ins Träumen…

Vor allem aber hören wir eine brillante Julia Bauer – gepfiffen auf alle Wissenschaft: Sie kann’s halt. Allein die Auftrittsarie könnte man sich Tag und Nacht reinziehen, so schön ist sie, so glitzernd, so wunderbar in den glockenhellen Höhen. Überhaupt: Julia Bauer ist das Glanzstück der Aufführung und der Aufnahme, begeisternd bis zur letzten berührenden Arie „Ach! Diese einz’ge Schuld“. Gott sei Dank, dass Beermann nicht nachgegeben hat – er weiß, was ankommt. Nicht nur in Chemnitz…

Ja, diese Aufnahme ist ein Unikat. Ein wunderbares. Die Musikwelt wird hineinhören – an Chemnitz und Nicolai geht seit Salzburg 2016 kein Kenner mehr vorbei…

Die 2CD-Box ist beim Label cpo (777 654-2) erschienen. Bei jpc wird sie bis 15. Oktober zum Preis von 24,99 € angeboten. Danach kostet sie 5 € mehr.