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Ausgestochene Augen, starke Bilder

Ödipus (Tilo Krügel), wie er am Ende da steht, mit ausgestochenen Augen, blutig um Verbannung winselnd. Die zierliche Magd (Caroline Junghanns), wie sie den Leichnam Iocastes hinunterwuchtet über die Palastdachrampen, die vom Bühnenhimmel sich hinunterstufen bis in den Graben (Bühne und Kostüme: Ralph Zeger). Bilder von seltener Eindrücklichkeit.

Die Sprache, die Heiner Müller aus Hölderlin (der wiederum Sophokles übersetzt hatte) sog, ist das andere. Nicht nur für SMS- und Twitterzeitler ungewohnt schwer. Umständlich. „Denn meine Übel ist kein anderer imstande, /davonzutragen außer mir der Sterblichen“ – heißt: „Verzeihung gibt’s nicht“.

Die symbolisch-realistischen Bilder – die Sprache des antiken Dramas: Regisseur Dieter Boyer will die Nähe zu nahezu liturgischer Handlung. Im Programmheft ist Ödipus auf einem Probenfoto noch im Lendenschurz zu sehen, starke Erinnerung an das gewohnte Bild des anderen Leidensmanns, der der ganzen Menschheit die Augen öffnen wollte („Ich bin der Weg, die Wahrheit, und das Leben“). Ödipus sieht die Wahrheit erst, als er blind ist. Alle Menschen sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, sagt Boyer im Interview. Sehen heißt nicht, erkennen. Schon gar nicht, wenn man regiert. („Ich muss doch regieren“, ruft Ödipus verzweifelt, und meint: töten).

Boyer vermittelt starke Eindrücke. Die Magd (die mehrfach die Rolle des Chors im antiken Drama übernimmt: kommentierend, Fazit ziehend) spielt mit Einsatz jedes Zentimeters Haut die Schwüle von Sex und Inzucht, die über dem Ödipus-Thema wabert. Kreon (Hartmut Neuber), mit Brille, Stenz-Hose, Kummerbund, die kalte Macht, die sagt, was Wahrheit ist. Tiresias (Susanne Stein) den – weil blind – nicht nur alles wissenden, sondern im Müller/Brechtschen Sinn „episch“ verfremdenden Erklärer, der sich auch fast halb totlachen kann über das, was die dummen Bühnenmenschen da wieder anrichten.

Am Ende lässt Boyer alle Fragen offen. Nur eine nicht: dass er über wunderbare Schauspieler verfügen konnte. Tilo Krügel vor allem, der den furchtbar schweren Sprachrhythmus so verinnerlicht hat, dass er nach einem Stufensprung nie im falschen Taktteil auf den Füßen aufklatschte. Caroline Junghanns, auch physisch bis zum Anschlag gefordert, Susanne Stein, die nie fehltappende blinde Doppelsichtige, Hartmut Neuber, Exekutor von Macht und Wahrheit, Ellen Hellwig, verzweifelt liebende Mutter und Gemahlin. Und all die anderen, samt den Statisten des Chors – choreographiert als kriecherisches Menschengewürm oder geballt als personifizierte Schicksalsdrohung.

Ein großer Abend im Chemnitzer Schauspielhaus. Starker Beifall. Nach der „Illustrate Illyria!“-Premiere am Vorabend die zweite einer ganzen Kette von Premieren, auf die sich die Chemnitzer freuen können.
(Nächste Aufführung: 4. Oktober)