Adieu, Felix Bender, und Auf Wiedersehen!

Bender und das Chemnitzer Publikum – das ist eine Erfolgsgeschichte. Warum die Menschen diesen 32-jährigen jungen Mann so in ihr Herz geschlossen haben? „Felix Bender hat das Chemnitzer Musikleben bereichert wie kein anderer,“ sagte Raimund Kunze, der Orchesterdirektor, der Bender zusammen mit Generalintendant Christoph Dittrich am Mittwoch verabschiedet hatte. „Er hat als Mensch überzeugt“, ist sich Hergen Gräper sicher. Der Verwaltungsdirektor sagte zusammen mit einer ganzen Reihe von Orchestermusikern am Donnerstag „Adieu“.

Bender ist ein Tausendsassa. Er dirigiert, was ihm aufs Pult gelegt wird. Und auch ein gebrochener Haxen hinert ihn nicht daran wie im 10. Sinfoniekonzert 2017. Der Theaterförderverein hat die Chemnitzer Karriere des Ausnahmetalents verfolgt, von jenem Oktobertag 2013 an, als Frank Beermann seinen neuen Kapellmeister vorstellte, bis heute, da Bender selbst ein Maestro ist. In rund  40 Beiträgen (können Sie hier nachlesen, oder indem Sie auf der Webseite des Theaterfördervereins „Felix Bender“ in die Suche eingeben) finden Sie wichtige Meilensteine seines (künstlerischen) Lebens in Chemnitz. Und da fehlt noch einiges, zum Beispiel, wie er 1.500 Sängerinnen und Sänger beim großen Stadtjubiläumskonzert im Januar bändigte. Wir haben Bender auch als herausragenden Pianisten kennengelernt, in jenem verrückten Cembalo-Solo etwa in Händels „Rinaldo“. Dass er auch Bratsche spielt, erzählte Matthias Worm, Solo-Bratscher der Robert-Schumann-Philharmonie, der dem Saitenkollegen am Donnerstag eine Schulter(-)Stütze für dessen weiteren Weg schenkte.

Wir danken mit Freude zurück: Bender, als er nach Chemnitz kam

Bender weiß, was er will. Nicht nur in der Musik. Als Milchgesicht machst Du in diesem ach so seriösen Klassikgeschäft kaum Karriere. Er lässt sich einen Bart wachsen. Wenn Frack nicht vorgeschrieben ist, und die Musiker locker zum Auftritt kommen, er kommt im Frack. Zeigt schon äußerlich, wer der Maestro, der Meister ist. Vielleicht will er damit aber auch demonstrieren, welche Ehrfurcht er vor den großen Meistern der Musikgeschichte hat. Bender ist ein besessener Arbeiter. Er steigt so tief in die Partituren ein, wie wenige sonst. Aber er weiß auch, dass ein Dirigent auch ein bisschen ein Showman sein muss, der es auch einmal richtig krachen lassen kann. „Turandot“ sei so ein Fall – ein Krimi, bei dem es auch prächtig laut wird. Das liebe er, man habe es an diesem Abend ja auch gehört, fügt er bei seiner kurzen Ansprache hinzu…

In der Tat: Bender hat sich für sein Abschiedskonzert ein Programm ausgesucht, mit dem er noch einmal so richtig zeigen konnte, wie er Musik versteht und sie über die Rampe bringen will. Den puren Effekt sucht er nicht. Sonst hätte er von Brahms nicht die „Tragische Ouvertüre“ ausgewählt, sondern die im selben Jahr entstandene „Akademische Festouvertüre“, bei der sich alle Ex-Studenten der Welt mit dem „Gaudeamus igitur“ an ausgelassene Studentenstunden erinnern. Auf musikalische Feinheiten kommt es da nicht so an. Da arbeitet er lieber – selbst mit einer Abschiedsträne im Knopfloch – die sentimentale, von heiteren Sonnenstrahlen durchhellte Melancholie aus und die hoffnungsvolle Steigerung zum dramatischen Schluss.

Es ist, als ob Bender beim Analysieren einer Partitur nicht nur nach dem WIE (hat der Komponist das gemacht?) forscht, sondern sich fragt, WAS der Komponist uns damit erzählen will. Und das versucht er dann wiederzugeben. Da schleicht dann eben bei Tschaikowskis 5. Sinfonie wirklich das unvorhersehbare Schicksal mit den Klarinetten herein, leise zwar, aber mit festem Fuß in den beiden (ausgekosteten) Legato-Tönen am Ende des Motivs.

Noch deutlicher wird Benders Einsicht und Erzählweise, wenn er die Motive selbst, so versteckt sie sein mögen, herausarbeitet. Da ist der vierte Tschaikowski-Satz bestens geeignet – Bender spürt jedem Motivfetzen nach wie in einer Wagner-Oper vom „Tannhäuser“ bis „Siegfried“. Oder gar die 24 Variationen des Themas aus der 24. Caprice von Paganini in Rachmaninows „Rhapsodie“ op. 43 – da geht der Zusammenhang in keiner Sekunde verloren und immer wieder blitzt da und dort ein Fetzen auf, der die Spannung erhöht.

Bender liebt Schablonen nicht. Er vermeidet jeden romantischen Schmalz etwa im 2. Tschaikowski-Satz, einem der schönsten aller Sinfonien. Aber er will „Ton“ haben – fordert ihn, gerade von den Streichern, immer wieder. Bender beherrscht das Sentiment, er kann Zwiegespräche zwischen Horn und Klarinette oder Oboe wunderbar nachhören, aber er kann, nach der geschmeidigen Serenade des dritten Satzes, es auch ordentlich krachen lassen wie im Finale des vierten Satzes.

Schwieriger mit dem Durchsetzen dessen, was er will, hat es Bender in der Rachmaninow-Rhapsodie, wenn er auf eine Pianistin trifft, die, so zierlich sie daherkommt, einen ganz eigenen festen Willen hat. Da kämpfen dann Dirigent und Solistin schon mal um die Vorherrschaft – und dann darf das Orchester genüsslich siegen, während sich die Solistin kaum hörbar auf den Tasten austobt. Aber das scheint von Rachmaninow so gewollt. Eine Pianistin ist keine Sängerin – wie Bender Sängerinnen und Sänger auf Händen tragen kann, indem er das Orchester zurücknimmt, haben wir oft erlebt, wenn Bender im Graben stand.

Die am Klavier so selbstbewusste Evgenia Rubinova ist im normalen Leben ein reizendes, liebes Geschöpf, versichern alle, die mit ihr während der Proben und den beiden Aufführungen zu tun hatten. Am Klavier ist sie, wie Bender am Pult, ein Alphatier. Ebenfalls ein Ausnahmetalent. Sie hat diesen irre schweren Rachmaninow glänzend und scheinbar mühelos bewältigt, dabei höchst musikalisch. Und im Anschlag herrlich differenzierend zwischen fast singenden Tönen und Dreinschlägen, als wäre der Flügel ein Perkussionsinstrument.

Rachmaninow liebte offenbar die wilden Geiger. Die Rubinova wählte als Zugabe dessen Wahnsinns-Paraphrase über das „Liebesleid“ von Fritz Kreisler, dem Teufelsgeiger, der mehr als hundert Jahre nach dem italienischen Virtuosen geboren ist. Die schlichte Melodie wie ein barocker Cantus firmus geführt, drum herum, über Kreuz und drunter und drüber die verrücktesten Fingerhakeleien – das war so perfekt wie schön. Von dieser Frau werden wir noch viel hören. Das haben die Chemnitzer schon am Mittwoch gespürt und ratzfatz alle CD gekauft, von denen auch am Donnerstag noch hätten welche verkauft und signiert werden sollen.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, /Der uns beschützt und der uns hilft zu leben“, hat Hermann Hesse einmal geschrieben. Bender hat in seiner kurzen Schlussabsprache versprochen, wiederzukommen, als Zuhörer (er hat’s nicht weit, noch wohnt er am Brühl) und ans Pult seines Orchesters. Seine Kollegen von der Robert-Schumann-Philharmonie  (mit vielen duzt er sich) haben sich mit ihm und seinen Intentionen entwickelt – sie lieben ihn, sitzen auf dem Schnäppchen und folgen den kleinsten dynamischen Hinweisen, die längst nicht mehr eckig sind, wie ganz zu Beginn, sondern souverän, und, wenn’s sein muss, mit ganzem fast akrobatischem Körpereinsatz. Die Musiker der Philharmonie haben einen großen Abend grandios gemacht.

Von sich sprach er nicht zum Schluss. Aber von der Aufgabe, auch des Publikums. Ihr habt in der Robert-Schumann-Philharmonie ein „riesiges Geschenk“, nutzt es, ermunterte er die begeisterten Zuhörer, „ich werde es kontrollieren“.  Wissen wir, lieber Felix Bender. Toi, toi, toi, adieu, und Auf baldiges Wiedersehen.