In Leipzig kriegen die Theater viel Geld, aber die Leipziger kümmern sich nicht um ihre Theater, scheute sie den Vergleich nicht: Die Chemnitzer dagegen mögen ihre Oper, ihr Schauspielhaus, die Philharmonie. Sie standen schon mal dafür auf der eiskalten Straße…
Ganz leise saß Heike Vieth unter den fast 60 Besuchern im rammelvollen Eingangsraum. Wäre sie nicht so bescheiden, sie hätte rote Ohren kriegen müssen bei dem Lob, das etwa Egmont Elschner, Chef des Kulturbeirats, über die großartige Arbeit der Theater in der Erziehung junger Menschen leistet – durch die Orchestermusiker in den Schulen, aber eben auch besonders durch Heike Vieths Schultheaterwochen, die „einmalig sind in Deutschland“. Eine „reiche Stadt wie Chemnitz mit mehr als 100 Mio Gewerbesteuereinnahmen“ muss sich ein solches Theater leisten, merkte Frank Blumstein, Bürgervereinschef, an, damit weiterhin die Besten nach Chemnitz kommen, um hier in Instituten wie Fraunhofer oder in den hochqualifizierten Mittelstandsbetrieben („die Steuern, die die zahlen, bleiben hier in der Stadt…“) zu arbeiten, und damit die Stadt reich bleibt.
Angelika Diener, engagiertes Theaterfördervereins-Mitglied, und nie um ein richtiges Wort zur richtigen Zeit verlegen („für das Geld hätte ich das Gutachten auch gemacht“ bemerkte sie zu dem unsäglichen KPMG-Papier), monierte, wie schneckenhaft langsam das gehe, bis „hier mal was entschieden wird“. Was jetzt zur Debatte stünde, darüber habe man schon vor drei Jahren an Ort und Stelle gesprochen…
Damit das nicht wieder passiert, darum kämpfen Heide und Reinhard Bündig („wir haben beschlossen, wenn es wieder Ärger gibt um das Theater, dass wir in den Förderverein eintreten. Jetzt ist es soweit“ – Herzlich willkommen! Die Red.). Heide Bündig hat einen offenen Brief an die Oberbürgermeisterin und die Stadträte geschrieben. Der Brief, aus dem sie zitierte, der im Volltext bisher nur auf der Webseite des Theaterfördervereins zu lesen ist („Andere Städte beneiden uns“), fordert einen „runden Tisch“ aller Beteiligten und Verantwortlichen mit dem Ziel, „eine einvernehmliche, nachhaltige Lösung zur Erhaltung unserer Glanzlichter zu finden.“
Dem schloss sich Egmont Elschner vehement an. Lasst und jetzt mit allen, die dazu beitragen können, Lösungen finden, damit dann „endlich für zehn Jahre Ruhe ist“. Die Theater verzeichneten im Übrigen immer dann die beste Auslastung, wenn nicht ständig über sie und ihre Finanzierung gejammert würde. Dass ein Konsens möglich sein könnte, deutete Hans-Jürgen Rutsatz an, Casting-Sieger der OB-Kandidaten-Kür der Volkssolidarität. Auch „seine“ Jugendlichen vom Eissportverein brauchten Geld, meinte er, aber der Sport würde auch mal für eine klar begrenzte Zeit zurückstecken, wenn Kultur- und Theaterausgaben dringlich seien.
Szenenwechsel. Im Tietz befragt wenige Minuten später Musikvereinschef Ingolf Günther in der Reihe „Philharmoniker im Porträt“ seinen Kollegen, den Solo-Cellisten Jakub Tylman. Der in Prag geborene Musiker, der sich mit Bach musikalisch eingeführt hatte und reden kann wie ein Buch, sei „ganz traurig, wenn ich die Diskussionen um das Orchester und um das Theater höre“. Er hat, so jung er mit seinen gerade 30 ist, in Berlin und Köln studiert. Und in vielen Orchestern gespielt. Aber dann die Verblüffung: Dass er ausgerechnet in Chemnitz ein so wunderbares Orchester erleben dürfe (das nicht 720 km, sondern nur 160 von seiner Heimatstadt entfernt ist), das er vorher nicht kannte. Die Leistung der Kollegen auf der Bühne und im Graben sei gar nicht hoch genug einzuschätzen, sagte er, sich selbst dezent zurücknehmend. Die Bläser bei der „Malfi“ – und die Sänger oben – „ich möchte wissen, wo so was sonst noch möglich wäre“. Der intelligente, schlagfertig witzige Musiker („ich habe hier meine Freundin, eine Ärztin, kennen gelernt. Wir haben denselben Beruf: Wir bringen die Leute zum Schlafen“) ist vielfach ausgezeichnet und spricht ein hervorragendes Deutsch. Der Tscheche, der beim selben Lehrer (Boris Pergamenschikow) wie sein schwäbischer Pultkollege Thomas Bruder studiert hatte, der auch da war, gewann die Herzen der rund 80 Zuhörer im Flug: für sich – und die Philharmonie. Und für Chemnitz. („Viel schöner als Köln. Was dort nach dem Krieg gebaut wurde, macht alles so kalt. Der Kaßberg erinnert mich so sehr an Prag…“).
Aber jetzt freuen sich die Musiker erstmal auf die Konzertreise nach Spanien – als werbende Botschafter für ihre „Heimatstadt Chemnitz und deren großartige Philharmonie“…