Gäste lassen die Philharmonie strahlen

Viviane Hagner, die 1976 in München geborene Deutsch-Koreanerin ist nicht nur gesegneten Leibes, sondern auch mit einer Energie gesegnet, die ihresgleichen sucht. Nach den Probenbelastungen der erste Konzertabend am Mittwoch, in der Pause CD signieren. Am Donnerstag morgens nach Frankenberg ins Gymnasium, um 50 Schülerinnen und Schülern zu zeigen, warum eine Geige nicht eine klingende Zigarrenschachtel ist, und am Abend wieder der fordernde Korngold, die Zugabe als musikalisch-fingertechnischer i-Punkt. Und wieder CD signieren und Programmhefte. Die junge Frau hat es drauf.

Korngold, der Traumbebilderer der „Toten Stadt“ (gegenwärtig im Opernhaus), hatte das Glück, in der Traumfabrik Hollywood sofort Karriere zu machen, als er 1938 wegen seiner jüdischen Wurzeln nicht nach Wien zurückkehren konnte. Er notierte die Noten zu wunderbaren Filmmusiken (einige werden wir im Februar-Sinfoniekonzert hören) und schämte sich nicht, ein filmreifes Violinkonzert zu schreiben, das Hochnasfederhalter gleich als Hollywood-Schinken abtaten.

Mittlerweile lieben es auch die Kritiker, die Geiger sowieso, und das Publikum war eh meist hin und weg, seit Jascha Heifetz das Konzert aus der Taufe hob. Es gibt noch eine Aufnahme mit ihm: er schluchzt in Glissandi, jubelt Vibrato im Höhenrausch, und das Orchester haut dem Hörer Klang-Cluster um die Ohren, dass es nur so fetzt. Ganz anders Viviane Hagner und die Robert-Schumann-Philharmonie.

Viviane Hagner ist auch mit dem Talent gesegnet, nicht nur die eigenen Noten im Kopf zu haben, sondern auch die der Orchestergruppen, und sie kann sich da wunderbar hineinhören – da kommt die begabte Kammermusikerin zum Zug, die weiß, dass in der Kammer jeder gegelte Brillierer seine Mitspieler desavouiert. Wenn dann noch ein Dirigent dazukommt wie Patrick Davin, der – plop – mal da ein Glanzlicht setzt, mal dort niederkniend zum Pianissimo zwingt, dann entsteht ein wunderbares Miteinander ganz unterschiedlicher Klänge. Vivian Hagner springt leichthändig in die höchsten Höhen der gefühlt 56. Lage, muss sich oben nicht ausruhen und Sekundenbruchteile über das Orchester hinaus nachklingen, weil dessen Gewitter-Fortissimo sie sonst nicht mehr gehört werden lässt, sie kann auch der leeren G-Saite Ton geben und im Orchesterbild einen solistischen Farbklecks setzen.

Mir ist egal, aus welchen Film-Musiken und zu welchen Leinwand-Atmosphären Korngold die einzelnen Teile des Konzerts zusammenkomponiert hat. Ich legte mich hinein in wunderbare Musik, hörte technisch zu keiner Sekunde wackelnde Finger- und Bogenspiele, sah Musiker auf der Stuhlkante, um nur ja kein falsches Atmosphärenstäubchen irritierend in die (bisweilen disharmonische) Harmonie zu schicken. Und ich sah eine Konzertmeisterin, die alles tat, um die Kollegin glänzen zu lassen. Und ihr Respekt zu zollen. Heidrun Sandmann weiß, was dieser Korngold von der Solistin verlangt. Vor zehn Jahren galt der Jubel ihr.

Da wir gerade beim Jubeln sind: Selten hat das Publikum einen Dirigenten so beklatscht und mit Bravi in den Himmel geschossen wie am Donnerstag die Chemnitzer den jungen Belgier Patrick Davin nach Brahms‘ 2. Sinfonie. Sie entstand nicht in Hollywood, sondern im verträumten Pörtschach am Wörthersee. Und riss das Publikum trotzdem mit. Wie vorher der Korngold. Verwandt sind beide Kompositionen nun wirklich nicht. Höchstens über D-dur verschwippschwägert.

Auch Davin kann zuhören, lässt lange Bögen sich entwickeln, kriegt eine Dynamik hin, die wie aus sich selbst heraus zum Lauteren oder Höheren strebt. Er braucht keine zusätzlichen Klangeffekte in Vielfachfortissimo draufzusetzen, von denen sich ein Orchester nicht so schnell erholt, als dass nicht anschließende Pianissimi schweratmend stolpern. Da kann der Brahms noch so pastoral sein wie Vorbild Beethoven oder noch so jubelnd (vierter Satz) – Davin übertreibt nichts. Auch nicht die Tempi (wie manche Kollegen im vierten Satz). Lässt aber auch alles hören, was von Bedeutung ist – da gibt es keine Blechdecke, die die Streicher oder das Holz zumummt.

Davin hatte sichtlich Freude, mit der Robert-Schumann-Philharmonie zu musizieren, wieder mal mit einem richtig großen Orchester (auch wenn es nicht in größter Besetzung spielte, was dem Brahms zusätzliche Leichtigkeit gab). Davin ist seit kurzem Chef der Sinfoniker von Mulhouse, der Partnerstadt von Chemnitz. Die Chemnitzer haben (Gott sei Dank!) mehr Streicher als er in Mulhouse Musiker überhaupt…

Wir wollen der Partnerstadt ja nicht gute Leute abwerben. Aber Davin könnte ein Beermann-Nachfolger sein, wie auch am Donnerstag im Publikum geflüstert wurde. Der Mann hat an großen Opernhäusern dirigiert (Bastille, Lyon, Brüssel), auch Uraufführungen. Er versteht was von moderner Musik, hat bei Pierre Boulez und Peter Eötvös studiert. (Eine Eötvös-Erstaufführung – „Paradise reloaded“ – erleben wir vom 21. März an in der Oper).

Ach ja. Zeitgenossen. Zu Beginn dirigierte Davin die „Three Places in New England“ von Charles Ives.

Großer amerikanischer Komponist, 1954 gestorben. Zeitgenosse. Wichtiger Moderner. Sagen Fachleute. Gut, dass er in der Stadt der Moderne mal gespielt wird. Riesenaufwand für…? „Ja, aber nochmal hören muss ich das nicht“, höre ich beim Rausgehen. 99,9 Prozent der Zuhörer waren nicht wegen Ives gekommen. Manchen gefiel er dann doch. Damit ist gut.

Davin und eine ganze Reihe von Philharmonikern saßen anschließend glücklich und zufrieden zum verdienten Bier bei „Karl’s“. Über Ives haben sie wohl nicht gesprochen…