103 im Wohnzimmer

103 Musiker! So viele hat die Robert-Schumann-Philharmonie nicht, eines der größten Orchester Ostdeutschlands, wie es im Opernball ABC stolz geschildert wird, selbst wenn alle schnupfenverschont sind. Acht Hörner verlangt Strauss. Und vier Saxophone. Aber alle, die in der Philharmonie dieses sinfonisch selten eingesetzte Instrument spielen können (siehe Big-Band), müssen ihren Job an der Klarinette machen… Fagotte, Oboen usw. Puh! Kurzum, Gäste müssen her, damit Straussens häuslicher Friede erhalten bleibt oder wiederkehrt, selbst wenn’s mal donnert und kracht.

Man muss diesen Strauss nicht mögen. Was hat er doch für tolle Musik geschrieben – sich in der Beschränkung als Meister gezeigt, im „Rosenkavalier“ oder in „Capriccio“, oder – anders – im „Zarathustra“! Hier gibt’s keine Beschränkung. Wenn schon, dann schon. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten (die häusliche Sinfonie wurde in der Carnegie-Hall und dann in einem Kaufhaus (!) in New York uraufgeführt) kann man dem Publikum zeigen, wie vor lauter Tuten und Blasen einem das Tuten und Blasen vergehen kann. Und der Komponist schmunzelt, und steckt das höchste Honorar ein, das er bis dato je kassiert hat. Anfang des 20. Jahrhunderts sind 1.000 US-Dollar gigantisch…

Einen solchen Koloss zu bändigen, ist Management-Aufgabe. Nicht nur in der „Beschaffung“ (Orchesterdirektor Raimund Kunze hat einen guten Job gemacht), erst recht am Pult. Da konnte man Beermann erleben, wie er leibt und lebt, wie er sich und seine Musiker liebt. Noch das Letzte herauskitzeln – aus den eigenen Leuten, den „Leiharbeitern“ und sich selbst. Am Ende stehen zwei, die Arme und Hänge jubelnd zum Hypervictory in den Himmel gereckt: André Schieferdecker mit den (nur nebenbei: vom Förderverein gesponserten) Prachtbecken und der Dirigent. Irgendwie kaputt nach dieser fast Dreiviertelstunde, aber glücklich. Beifall prasselt, Bravo-Brüller.

Nun hat Beermann also mit der Robert-Schumann-Philharmonie den ganzen sinfonischen Strauss auf den Pulten gehabt – wirklich viele Orchester in Deutschland gibt es nicht, die das von sich sagen können. Beermann mag die Spätromantiker, die Klangzauberer an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Ob sie Bruckner heißen, Mahler, Wagner oder eben Strauss. Er mag aber auch die, die an der Schwelle einer anderen Neu-Zeit standen: der beginnenden Romantik, die bürgerlich revolutionär bisweilen die Puderperücken-Klassik abgelöst hat.

Beermann hat den Schubert-Zyklus gemacht – großartig. Und er hat vorher Beethoven von jedem Restpuderstäubchen befreit und gezeigt, dass Sinfonie auch im Straßenbahndepot geht. Wie Haussinfonie in der Stadthalle…

Nicht verwunderlich also, dass ausgerechnet Beethoven den ersten Programmteil ausmachte: das Tripelkonzert. Auf gut deutsch: ein Konzert für das klassische Hausmusik-Trio Klavier, Geige, Cello und ein Orchester. Aufgeführt logischerweise nicht im bürgerlichen NY-Kaufhaus, sondern im fürstlichen Lobkowitz-Palais.

Matthias Kirschnereit, den wir inzwischen gut kennen (auch durch die Mendelssohnschen Klavierkonzerte, die er mit der Robert-Schumann-Philharmonie aufgenommen hat), ließ zwischen den Schlussakkorden das Pedal stehen. Ob Absicht oder nicht – romantischer Vorklang?

Lena Neudauer

Die junge Saarbrücker Professorin Lena Neudauer (Geige) und Julian Steckel (Cello), die anderen beiden Solisten, kennen sich. Mit demselben Pianisten (Rivinius) haben sie CDs eingespielt. Kirschnereit und Steckel sind Professoren an der Musikhochschule in Rostock – auch sie kennen sich gut. (Und besuchten – bewundernswert – in Probenpausen im Rahmen des Projektes „Rhapsody in School“ das Dr.-Wilhelm-André-Gymnasium Chemnitz).

Die drei können miteinander. So schwierig die akustischen Verhältnisse sind. So sehr Kirschnereit sich drehen musste, um zu hören, welche Pace die Geigerin angab, oder der Cellist. Konzertmeister Hartmut Schill ging’s nicht anders. Auch er musste sehr genau hinschauen, um zu hörahnen, wie die Solisten in die Übergänge hinein- und wieder herausbalancierten. Ja, dieses Tripelkonzert ist ein akustischer Balanceakt, der höchste Konzentration erfordert. Wo man so genau auf den anderen hören muss – jede Phrasierung nachempfinden soll, jedes dynamische Plus oder Minus aufgreifen will.

Ein wunderbares Werk, dieses Tripelkonzert. Und so selten gespielt in Chemnitz. Schön, dass Beermann es ins Programm genommen hat. Und dass die Robert-Schumann-Philharmonie vor dem Koloss Strauss auch zeigte, wie gut sie „leicht“ kann.

Pep Guardiola, war zu lesen, stünde die nächsten letzten paar Monate bei Bayern unter besonderer Beobachtung. Das Triple soll er holen. Die Highlights kommen noch… Auch für Beermann stehen noch Highlights auf dem Programm. Der Mahler, der Wagner… Ob sich Guardiola aus England noch nach Bayern umdrehen wird? Beermann aber, da sind wir uns nach diesem Konzert erst recht sicher, wird der Robert-Schumann-Philharmonie noch manche Träne nachweinen…